Irgendwie funktionieren müssen
Nach dem schweren Unfall von Aushängeschild Kristina Vogel geht das deutsche Bahnradteam die EM in Schottland im Schockzustand an
Ob Kristina Vogel vom Krankenbett aus ihren Mannschaftskollegen die Daumen drückt, ist nicht überliefert. Noch immer dringen nur wenige Informationen aus dem Unfallklinikum in Berlin nach draußen. Die zweimalige Olympiasiegerin soll und wird selbst entscheiden, wann sie die Öffentlichkeit über ihren Gesundheitszustand ins Bild setzt, soviel ist inzwischen klar.
Ihre langjährige Wettkampfpartnerin Miriam Welte (Kaiserslautern) und all die anderen beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR) versuchen, bei den Europameisterschaften in Glasgow ohne ihre Leitfigur den Weg in die Normalität fortzusetzen. »Sie ist nicht nur unsere Leistungsträgerin, sondern auch eine große Führungspersönlichkeit«, sagt BDR-Sportdirektor Patrick Moster. »Ich muss ständig an sie denken, weil sie auch diejenige ist, die das Team immer gestützt hat«, ergänzt Welte, die mit Vogel 2012 Olympiagold im Teamsprint gewonnen hatte.
Welte berührt Vogels Schicksal verständlicherweise ganz besonders, waren die beiden doch als »Golden Girls« im Teamsprint mit der Sternstunde von London und zahlreichen WM-Titeln das deutsche Erfolgsduo. »Es war immer unser gemeinsamer Traum, Europameister zu werden. Dass es diesmal wieder nicht klappt, ist wegen der Umstände extrem traurig«, sagt die Pfälzerin.
Nach den schlimmen Ereignissen vom 26. Juni hat der deutsche Verband seinen Athleten in »vielen Gesprächen« zu helfen versucht, »sportpsychologisch« laufe die Betreuung ebenfalls, wie Moster berichtet. »Auch der Blick nach vorn im Sinne von Kristina soll helfen. Wir müssen auch in solchen schweren Zeiten zusammenhalten«, sagt er: »Wir wissen, dass der eine oder andere daran sehr zu knabbern hat.«
Insbesondere die Augenzeugen des fürchterlichen Unfalls in Cottbus, bei dem Vogel eine schwere Verletzung an der Wirbelsäule erlitt, sind weiterhin mitgenommen. Das gilt für Bundestrainer Detlef Uibel wie für die sehr talentierte Pauline Grabosch, die sich derzeit noch nicht wieder zu Höchstleistungen imstande sieht. »Man verarbeitet es auf unterschiedliche Weise. Es gibt ja auch Unterschiede, je nachdem, wie nahe man Kristina stand«, erzählt Moster.
Vogel fehlt natürlich auch als die weltweit herausragende Athletin im Bahnradsprint der Gegenwart. »Sie hinterlässt sportlich eine Lücke, die keine Nation schließen könnte«, sagt Moster über die Sprintolympiasiegerin von Rio, die elfmalige Weltmeisterin und amtierende Europameisterin im Sprint und Keirin. Dennoch will das deutsche Team im Chris Hoy Velodrome »an die letzten Europameisterschaften anknüpfen«, wie Moster sagt. Diese waren mit Vogel immer medaillenträchtig: »Aber wir fangen nicht mit der Zählerei an.«
Nicht zuletzt Welte hofft, dass sie, wenn es auf dem Holzoval zählt, die Ereignisse »ausblenden und ich mich voll auf meine Leistung konzentrieren kann. Da muss ich funktionieren«, sagt sie. Erstmals gefordert ist Welte am Freitag. Die 20 Jahre junge Emma Hinze (Cottbus) nimmt dann im Teamsprint Vogels Position ein. »Wir werden uns teuer verkaufen«, sagt Welte. Und weiter in Gedanken bei der Kollegin daheim sein. SID/nd
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