- Politik
- Andrew Brunson
Traute Einigkeit - ohne die HDP
US-Sanktionen gegen türkische Minister führen zu gemeinsamer Erklärung der Opposition
Die Entscheidung der US-Regierung, Sanktionen gegen zwei Minister von Recep Tayyip Erdoğans Kabinett zu verhängen, hat zu einem Schulterschluss von zwei der drei Oppositionsparteien im Parlament mit der Regierung geführt. Wenn es um scheinbar nationale Belange geht und vor allem um die in der Türkei nicht gerade beliebten USA, lässt sich der größte Teil der Opposition nicht lumpen.
In der Erklärung werden den USA nicht nur die Sanktionen vorgehalten, sondern auch, dass sie sich weigern, den pensionierten Prediger Fethullah Gülen auszuliefern, und außerdem ihre Unterstützung für die syrische Kurdenmiliz YPG. Aus Sicht der Türkei ist die YPG nichts anderes als der syrische Arm der Kurdischen Arbeiterpartei PKK. In der Erklärung ist auch vom Recht auf Vergeltung die Rede, ohne dass konkrete Sanktionen gegen die USA benannt werden.
Die Hauptwirkung der Erklärung ist jedoch innenpolitischer Natur. Sie läuft auf eine Isolation der linken Demokratischen Partei der Völker HDP hinaus. Eine Erklärung, in der die YPG als Terrororganisation gebrandmarkt wird, würde die HDP nie mit unterschreiben.
Der Streit mit den USA geht um die mittlerweile in Hausarrest umgewandelte Inhaftierung des amerikanischen Pastors Andrew Brunson. Im Dezember 2016 wurde der seit über zwei Jahrzehnten in der Türkei lebende Brunson wegen angeblicher Zusammenarbeit mit der Gülen-Sekte und der PKK verhaftet. Die Anklage stützt sich auf Aussagen eines Zeugen, dessen Identität nicht preisgegeben wird. Zunächst versuchte Erdoğan zu erreichen, dass gegen die Freilassung Brunsons Fe-thullah Gülen ausgeliefert wird. Die Türkei macht den islamischen Prediger, der im US-Exil lebt, für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich.
Dann zeichnete sich nach türkischen Medienberichten ein Kompromiss ab. Brunson sollte am 18. Juli freigelassen werden. Dafür sollte sich der amerikanische Justizminister dafür aussprechen, dass die türkische Halkbank wegen ihrer Beteiligung an der Umschiffung von US-Sanktionen gegen Iran nur eine geringe Geldstrafe zahlen müsse, und zugleich sollte auch ihr ehemaliger Vizedirektor, Mehmet Hakan Atilla, der in New York wegen der Iran-Affäre vor Gericht steht, freigelassen werden. Außerdem sollte sich die US-Regierung für die Freilassung eines weiteren Türken in Israel einsetzen, was sie auch getan hat.
Doch im letzten Moment wollte die türkische Seite noch ein weiteres Zugeständnis: Die Untersuchung gegen die Halkbank sollte komplett eingestellt werden. Diese Bedingung konnte die US-Regierung gar nicht erfüllen. Ungleich mehr Einfluss auf die Justiz hat man jedoch in Ankara - und so kam Brunson nicht frei. Er bleibt mindestens bis zur nächsten Verhandlung im Oktober im Hausarrest. Ihm drohen weiterhin 35 Jahre Gefängnis.
Indem die kemalistische Republikanische Volkspartei CHP und die nationalistische IYI-Partei sich im Streit mit den USA hinter Erdoğan stellen, bescheinigen sie ihm nebenbei die Unabhängigkeit der türkischen Justiz, an die sie selbst nicht glauben. Da ist der Streit um den CHP-Abgeordneten Enis Berberoğlu. Der ehemalige Journalist soll Fotos von Waffenlieferungen der Türkei an den »Islamischen Staat« zur Veröffentlichung weitergegeben haben und muss deshalb eine fünfjährige Freiheitsstrafe absitzen. Die Justiz schert sich dabei nicht um seine parlamentarische Immunität, die erst bei den Wahlen am 24. Juni erneuert wurde. Gleichzeitig greift gerade der von den US-Sanktionen betroffene Innenminister Süleyman Soylu die CHP heftig an, weil deren Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen, Muharrem İnce, den Kandidaten der HDP, Selahattin Demirtaş im Gefängnis besucht hatte.
Die Spaltung der Opposition in eine kurdische und eine türkische Seite ist der große Gewinn Erdoğans aus den US-Sanktionen gegen seine Minister, und er wird ihn nutzen, um die HDP weiter mit Repressionen zu überziehen.
Direkte ökonomische Auswirkungen dürften die Sanktionen gegen den Justizminister Abdülhamit Gül und Innenminister Süleyman Soylu indes nicht haben. Etwas ganz anderes ist es allerdings mit den indirekten ökonomischen Auswirkungen. Die mit den Sanktionen manifest gewordene weitere Verstimmung zwischen Washington und Ankara schickte die ohnehin angeschlagene Lira erneut auf Talfahrt. Zeitweise kostete der Dollar fünf Lira - so viel wie noch nie. Erdoğans einstige Stärke, die Wirtschaftspolitik, ist zu seiner Achillesferse geworden.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.