Die Stadt Burg und ihr »Wildschwein ehrenhalber«

Sachsen-Anhalt: Den Verhaltensforscher Heinz Meynhardt kannte in der DDR jedes Kind - inzwischen hat seine Heimatstadt ihn wiederentdeckt

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Kann jemand Aushängeschild für seine Stadt sein, nur weil er sich jahrelang mit Schwarzkitteln in deren Lachen im Wald suhlte - selbst wenn das viel Renommee in der internationalen Fachwelt einbrachte? Die Frage beschäftigt noch immer einen Teil der Einwohner der Stadt Burg in Sachsen-Anhalt. Ende Oktober ist es bereits 29 Jahre her, dass Heinz Meynhardt starb, fast zeitgleich verschwand das Land, das ihn einst als »Wildschwein ehrenhalber« feierte. Doch ist der selbstständige Elektromeister, der sich ab 1973 zum Verhaltensforscher und Tierfilmer profilierte, in Burg noch sehr gegenwärtig. Auch auf der derzeit laufenden Landesgartenschau würdigt man ihn bei den offiziellen Rundgängen, obgleich der Platz, der seit 2011 Meynhardts Namen trägt, gar nicht im Ausstellungsgelände liegt.

Doch ehe es zu dieser öffentlichen Würdigung kam, gab es in der 23 000-Einwohner-Kommune manchen Zwist um Meynhardt - bis in den Stadtrat hinein. Den einen schien die ganze Ehrung zu dick aufgetragen, andere störten sich an der Gestaltung des entsprechenden Denkmals oder an der Wahl des Standortes am Rand des Goetheparks. Am Ende setzte sich damit aber ein Freundeskreis »Dr. Heinz Meynhardt« durch. Neben einem Findling mit Gedenkplatte erinnern eine lebensgroße Skulptur Meynhardts aus feuerverzinktem Stahlblech sowie metallene Wildschweinfiguren an ihn. Auch private Sponsoren griffen hierfür tief in die Tasche.

Seit diesem Frühjahr scheinen die alten Gräben jedoch wieder offen. Denn im April, kurz vor Eröffnung der Landesgartenschau, rissen Unbekannte die Gedächtnisskulptur Meynhardts aus dem Boden. Der Burger Bauhof reparierte den »Dr. Heinz Meynhardt Platz« zwar schnell wieder, doch im Freundeskreis und bei einstigen Mitstreitern herrscht seither neues Unbehagen. So etwa bei Joachim Deter, einst Meynhardts engster Freund. Er bewahrt heute Meynhardts jagdlichen Nachlass.

Zumindest stelle man aber »erfreut fest«, sagt Vereinschef Dr. Ulrich Weber, dass die Burger »wieder vermehrt an den Forschungen, Filmen und Büchern des weltweit bekannten Sohnes unserer Stadt Interesse finden«. Bis 1990 kannte ihn fast jedes DDR-Kind. Denn das Wichtigste aus den 16 Jahren, in denen Meynhardt in den Wäldern bei Grabow rund 6200 Stunden seiner Freizeit mit den Schwarzkitteln teilte, hielt er in Wort und Bild fest - so 1977/78 im legendären TV-Dreiteiler »Wildschwein ehrenhalber« und 1981 in zehn »Wildschweingeschichten«. Hinzu kamen Expeditionsfilme aus Afrika und Australien, da der nun weltweit beachtete Autodidakt viel eingeladen wurde, etwa von der Schimpansen-Expertin Jane Goodall nach Tansania. Bis heute erscheinen seine Fachbücher, so »Mein Leben unter Wildschweinen« 2013 schon in 9. Auflage.

1987 promovierte Meynhardt - ohne Abitur und Studium - sogar noch an der Universität in Leipzig zum Doktor der Agrarwissenschaften. Sein Thema: »Verhaltensbiologische Untersuchungen an Europäischen Wildschweinen sowie verwilderten Hausschweinen sowie Schlussfolgerungen für die praktische Schweineproduktion«. Damit schloss sich für ihn gewissermaßen auch ein Kreis. Denn der Sohn eines Fleischers, der als Junge Nymphensittiche gezüchtet hatte, widmete sich den Schwarzkitteln anfangs im Interesse befreundeter Bauern: Er suchte Wege, die Schweine von Mais- oder Kartoffelfeldern fernzuhalten, testete etwa, ob sie sich von bestimmten Geräuschen vergrämen lassen und welche Sorten den Tieren am besten schmecken.

Bis zu zweimal täglich lud Meynhardt dazu drei Eimer Mais in seinen roten Kombi, um sich die Schweine gewogen zu machen. Er wollte ihre Sprache lernen und zum Beispiel Warnlaute von anderen Grunzrufen unterscheiden können. Also schloss er sich einer Rotte an, zog mit ihr durchs nächtliche Revier und brachte es damit nach drei Jahren quasi selbst in den Rang einer Führungsbache. Nun war er sogar bei der Geburt von Frischlingen geduldet, und führende DDR-Institute für Forstwirtschaft beziehungsweise für Tierproduktion beauftragten ihn mit recht speziellen Forschungen. Dabei entdeckte Meynhardt zum Beispiel, dass seine Bachen »genau unterscheiden konnten zwischen dem Knall einer Kalaschnikow vom nahen Truppenübungsplatz und einer Jagdwaffe«, erinnert sich Joachim Deter. Und nur vor Letzterer seien sie geflohen.

Meynhardts Nachlass findet sich heute vor allem in Berlin, Eberswalde und beim Sächsischen Staatsarchiv in Leipzig, wo noch über 400 Filmstreifen und Tonbänder aus seinem Schaffen lagern. Dabei stünde gerade Burg ein kleines Meynhardt-Museum gut, findet man im Freundeskreis. Zumindest führt ihn seine Vaterstadt nun auch auf ihrer Homepage unter »Burger Persönlichkeiten«: neben dem preußischen Militärreformer Carl von Clausewitz und der Schriftstellerin Brigitte Reimann. Es besteht also Hoffnung.

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