Was die Lungen noch hergeben

Die Lieblingsfilme der Neuen Rechten und das Versagen der Filmkritik

  • Wolfgang M. Schmitt
  • Lesedauer: 6 Min.

Die deutschsprachige Filmkritik schläft seit vielen Jahren den Schlaf der vermeintlich Gerechten. Die großen Grabenkämpfe, die von den 60er Jahren bis hinein in die 80er ausgefochten wurden, sind längst befriedet. Nachdem die ideologiekritische Filmkritik als gestrig desavouiert und abgewickelt worden war, trat man nach 1989 gemeinsam mit der großen Politik in das »Ende der Geschichte« ein und umarmte nun ohne schlechtes Gewissen, das einem einst die Frankfurter Schule eingeredet hatte, den kulturindustriellen Mainstream. Das hatte durchaus etwas für sich; diese stilistisch meist brillanten Elogen auf Hollywood bildeten einen angenehmen Kontrapunkt zu den bisweilen sperrigen ideologiekritischen Rezensionen. Gerade weil die subjektiv argumentierenden jungen Wilden, anders als die Ideologiekritiker, die Warnung Horkheimers und Adornos - »Vernügtsein heißt Einverstandensein« - aus der »Dialektik der Aufklärung« munter ignorierten, fanden sie besonders treffende Worte für die ästhetischen Qualitäten Hollywoods.

Durch diese fröhliche Affirmation jedoch entstand eine Lücke: Der ideologische Gehalt von Filmen blieb unberücksichtigt, Unterhaltung wurde zum entscheidenden Bewertungskriterium. In letzter Konsequenz führte dies zum heutigen Elend der sogenannten Service-Kritik, deren Protagonisten, die Influencer, stets die Ausrede parat haben: »Der Film will doch nur unterhalten.« Als sei Unterhaltung kontextunabhängig. Dabei ist schon das Lachen verräterisch: Heinz Rühmann oder Ernst Lubitsch? Das ist eine Kardinalfrage.

Die ideologiekritische Lücke jedenfalls wird jetzt von einer neurechten Vulgärideologiekritik ausgefüllt. Denn auch die Neuen Rechten lieben - dem in diesen Strömungen grassierenden Antiamerikanismus zum Trotz - Hollywoodfilme. Auch sie wollen unterhalten werden, doch: »Wir haben erkannt, daß nichts, was wir tun, bloß ›harmlose‹ Kultur ist. Nahezu alles kann Werte vermitteln und eine politische Botschaft bereithalten«, schreibt der Identitäre Mario Müller in seinem Buch »Kontrakultur«. So wurde das Lambda, der elfte Buchstabe des griechischen Alphabets, zum Markenzeichen der Identitären Bewegung - nicht als Ergebnis eines Altphilologiestudiums, sondern man adaptierte es aus der Comicverfilmung »300«. In Zack Snyders Film kämpft Leonidas von Sparta gegen den militärisch weit überlegenen Xerxes von Persien, der Sparta annektieren will. Die Spartaner leisten mit nur 300 Männern Widerstand. Mit dieser totalen Opferbereitschaft identifizieren sich Identitäre, sie übernehmen sogar den spartanischen Schlachtruf. Müller schreibt: »Wir rufen unser ›Ahu!‹ nach Boxtrainings in verschwitzten Kellern - mit dem letzten Rest Luft, den die Lungen noch hergeben. […] Beim Marsch durch die flimmernde Hitze der Wiener Migrantenviertel, im Pfefferspraynebel und Steinhagel. Man mag über einen Schlachtruf aus einem Hollywoodstreifen lachen, doch dies sind die Orte, wo er mit Bedeutung aufgeladen wurde. Mögen wir auch wenige sein: Wo das ›Ahu!‹ erklingt, halten die Reihen!«

Ja, es ist leicht, sich über dieses Pathos lustig zu machen, doch in gewisser Weise interpretieren die Identitären den Film richtig. Xerxes und seine Gefolgsleute werden im Film als verweichlicht, effeminiert und dekadent dargestellt. Sie tragen Schmuck und Make-up, haben homosexuellen Sex, sind korrupt - präsentiert wird hier eine Blaupause für die rechte Kritik an westlichen liberalen Eliten. Die Spartaner hingegen, schwärmt Müller, müssen »selbst die ›Mauer‹ ihrer Heimat sein. […] Die kriegerische Auslese und Erziehung der zukünftigen Soldaten begann im Kindesalter: Mit härtesten Prüfungen wuchsen die Jungen heran.« Der Film beginnt mit einer raunenden Stimme aus dem Off, die das Prinzip der Selektion preist. Später wird ein Mann wegen seiner Behinderung nicht in die Spartanerarmee aufgenommen, stattdessen übernimmt, so die perfide Plotkonstruktion, Xerxes das Projekt Inklusion.

»300« ist nicht der einzige Film, auf den sich die Neuen Rechten beziehen. In »Braveheart« erleben sie einen Freiheitskampf für die schottische Identität, was naheliegt, doch auch »Matrix« wird von rechts gesehen. Martin Sellner, der Kopf der Wiener Identitären, verkündet in seinem Buch »Identitär!«: »Wie im Film ›Matrix‹ sind wir die ›bereits Aufgewachten‹ und schweben zwischen den Schlafbatterien der Eingelullten. Aber anders als in dem Kult-Film müssen wir sie gar nicht mühsam befreien. Sie wachen im Moment reihenweise auf, stolpern aus ihren Zellen und wissen nicht, wohin. Wir müssen sie nur ›einsammeln‹ und sie auf den Weg zur Reconquista mitnehmen.« Die Interpretation mag nur überraschen, wenn man die aus der Trilogie sprechende Sehnsucht nach dem »Echten« ausblendet. Eine Sehnsucht, die auch »Fight Club« befriedigt und der deshalb ebenfalls zu den Lieblingsfilmen der Neuen Rechten zählt.

Die von Sellner propagierte Rückeroberung ist vor allem aber eine Aneignung. So will auch sein Gesinnungsgenosse Müller »in den Trümmern der Moderne Bausteine« finden, »mit denen wir an unseren jahrtausendealten Traditionen weiterbauen können«. Die Neurechten verstricken sich dabei in einen Widerspruch, wenn sie sich der Methode des Sampelns bedienen, die per se nicht identitär ist, um so eine »jahrtausendealte« Identität zu kreieren. Sei’s drum, sie eignen sich die Popkultur auch an, weil so junge Menschen zu ködern sind, wenngleich damit unfreiwillig bewiesen ist: Auch die Rechten sind heute die Kinder jener Globalisierung, die sie zu bekämpfen vorgeben.

Neu ist das Vorgehen keineswegs. Schon Goebbels schätzte Hollywoodfilme. Er beklagte, dass in deutschen Filmen bloß heldisch gesprochen, in amerikanischen Produktionen jedoch wirklich heldenhaft gehandelt wird. Für ihn waren sie subtilere Propagandawaffen als die Nazi-Propagandafilme, denn: »Mit dem Augenblick, da eine Propaganda bewußt wird, ist sie unwirksam.« Während Hitler dumpf zwischen Kunst und Politik unterschied, erkannte Goebbels verquer ideologiekritisch, dass Unterhaltungsfilme weit mehr als nur Unterhaltung bieten.

Es ist daher folgerichtig, dass die Neuen Rechten ausgerechnet die Marvel-Comicverfilmung »Black Panther« für ihre »identitäre Message« feiern, wie es Martin Lichtmesz im »Sezession«-Blog tut. Hieran zeigt sich das Dilemma der gegenwärtigen Filmkritik, die höchstens noch pseudo-ideologiekritisch denkt, wenn sie die identitätspolitisch korrekte Repräsentation von schwarzen Superhelden beklatscht. Gewiss, bislang machte Marvel um schwarze Figuren einen großen Bogen, doch die Ideologie von »Black Panther« ist geradezu anti-emanzipatorisch, sie ist identitär und ethnopluralistisch: Das fiktive, von König T’Challa regierte Land Wakanda ist undemokratisch, lehnt internationale Interventionen kategorisch ab und setzt auf totale Abschottung, um sowohl den Wohlstand als auch die völkische Identität zu bewahren. T’Challas Gegenspieler, der antikolonialistische und internationalistische Revolutionär Killmonger, muss folglich sterben, um den Status quo nicht zu gefährden. Der vom Film als Utopia verkaufte Staat ist in Wahrheit eine Dystopie - als hätte der rechte Vordenker Alain de Benoist das Drehbuch verfasst.

Lichtmesz hat deshalb recht, wenn er sagt, »Black Panther« sei »vielleicht der erste Altright-Film«. Unter dem Gewand der von Marvel intendierten linksliberalen Identitätspolitik steckt nichts anderes als eine rechte Identitätspolitik. Diese zu entlarven, wäre die Aufgabe von Filmkritikern. Der ideologiekritische Urvater Siegfried Kracauer mahnte einst: »Der Filmkritiker von Rang ist nur als Gesellschaftskritiker denkbar.« Und zu fragen wäre auch, ob nicht die das Mainstreamkino dominierenden Superheldenfilme gut in die Zeit eines neuen Autoritarismus passen. Die Bürger kommen in diesen Werken bloß noch als Claqueure vor, die Geschicke der Welt liegen in den Händen von T’Challa, Thanos, Thor und anderen Übermenschen. Eines nämlich eint die diversen neurechten Strömungen: Sie alle sind antiegalitär. »In Deutschland lag über den heitersten Filmen der Demokratie schon die Kirchhofsruhe der Diktatur«, schreiben Horkheimer und Adorno 1944. Man ist gewillt, diesen Satz zu paraphrasieren: Heute liegt über den dämlichsten Superheldenfilmen Hollywoods schon das Getöse des neuen Autoritarismus. Wenn die Filmkritiker nicht langsam aufwachen, wird nicht nur das Kino bald ein sehr unbequemer Ort sein.

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