Sollten Senioren mit 70 Jahren einen Fahrtest absolvieren?
Für und Wider
Nach einer aktuellen Umfrage unter Verkehrsanwälten votierte eine Mehrheit dafür, dass ältere Führerscheininhaber per Gesetz zu einer Überprüfung ihrer Fahrtauglichkeit veranlasst werden sollten. Das forderte eine Zwei-Drittel-Mehrheit der befragten Verkehrsanwälte der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltsvereins.
Ältere Autofahrer werden in den Verkehrsunfallstatistiken ähnlich wie junge Verkehrsteilnehmer als besondere Risikogruppe geführt. Anders als in vielen europäischen Nachbarländern wird in Deutschland nach der Führerscheinprüfung die Fahrtauglichkeit nicht ohne besonderen Anlass kontrolliert.
28 Prozent der Befürworter sprachen sich für eine Prüfung ab 70 Jahren aus, 23 Prozent halten eine Kontrolle mit 65 Jahren für sinnvoll, für 20 Prozent sollte der Test bereits mit 60 Jahren erfolgen. In den Niederlanden, Norwegen und Schweden ist beispielsweise eine ärztliche Untersuchung ab dem 70. Lebensjahr vorgeschrieben.
Auf keinen Fall die Mobilität der Senioren einschränken
Die Mehrheit der 1002 befragten Verkehrsanwälte im Alter zwischen 18 und 60 Jahren betrachten eine Fahrtauglichkeitsprüfung als Beitrag zur Verkehrssicherheit. Allerdings wollen die meisten Umfrageteilnehmer auf keinen Fall die Mobilität von älteren Menschen einengen. 84 Prozent lehnen deshalb generelle Beschränkungen für ältere Verkehrsteilnehmern durch begrenzte Fahrgebiete oder Fahrzeiten ab.
Nach ihrer Ansicht sollte sich eine Fahrtauglichkeitsprüfung auf die mentale und praktische Eignung zum Autofahren konzentrieren. 79 Prozent halten eine medizinisch-psychologische Untersuchung für erforderlich; 68 Prozent sprachen sich für eine praktische Fahrprüfung aus. Nur 43 Prozent waren für eine Überprüfung des theoretischen Wissens.
Einseitige Regelung für Senioren hilft nicht
Ob eine solche Fahrtauglichkeitsüberprüfung tatsächlich sinnvoll ist, ist jedoch umstritten. Beim Blick auf die Verkehrsunfallstatistik erscheint die Forderung nach einer Fahrtauglichkeitsprüfung für ältere Menschen auf den ersten Blick verständlich, so der Fachanwalt für Verkehrsrecht, Frank-Roland Hillmann. Denn bei Verkehrsunfällen, an denen ältere Autofahrer beteiligt sind, sind die Senioren in 75 Prozent der Fälle auch die Verursacher. Und das, obwohl sie ihre Teilnahme am Straßenverkehr als Autofahrer reduzieren.
Aber auch in der Gruppe der jungen Autofahrer (18 bis 21 Jahre) sind die jungen Leute mit einem Anteil von 71 Prozent ähnlich häufig die Unfallverursacher. Die jüngsten Fahrer haben zwar ähnlich schlechte Werte, allerdings ist deren Fahrleistung wesentlich höher als die der Senioren. Die Zahlen zeigen, dass das Thema deutlich komplexer ist und man es mit einer einseitigen Regelung allein für eine bestimmte Gruppe nicht lösen kann.
Sind ältere Menschen wirklich ein Unsicherheitsfaktor?
Grundsätzlich kann man vor einer solchen Pauschalierung nur warnen, so der Fachanwalt Hillmann. Es gibt viele Menschen, die auch im hohen Alter noch sehr fit und beweglich sind. Und es gibt 50-Jährige, bei denen genau das Gegenteil der Fall ist. Außerdem ist die Wirkung einer grundsätzlichen Regelung wie Tauglichkeitstests eher fragwürdig.
So gibt es in Italien diese Prüfungen bereits seit Längerem. Doch positive Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit hat dies der Unfallstatistik zufolge aber nicht gehabt. Im Übrigen helfen auch die vielfältigen Assistenzsysteme Autofahrern allgemein und natürlich auch älteren, deutlich sicherer zu fahren als noch vor wenigen Jahren.
Fakt ist: Senioren fahren zumeist seltener Auto als jüngere. Und ältere Menschen verhalten sich häufig anders als andere Verkehrsteilnehmer. Sie fahren langsamer, weil sie eine andere Wahrnehmung haben oder weil sie angesichts der heutigen, unüberschaubaren Verhältnisse auf den Straßen etwas unsicher sind. Aber objektiv gesehen fahren sie zumeist nicht zu langsam, sondern halten sich ganz einfach an die Regeln und beachten Geschwindigkeitsbegrenzungen.
Die scheinbar hohe Zahl von älteren Unfallverursachern muss man also sehr genau betrachten: In ganz vielen Fällen handelt es sich um Bagatellschäden; junge Fahrer sind dagegen viel häufiger für Unfälle mit schwerwiegenderen Folgen verantwortlich.
Fahrtauglichkeit steht grundsätzlich obenan
Auch wenn beispielsweise kein Entzug der Fahrerlaubnis angeordnet wurde, geht es den Verkehrsämtern grundsätzlich darum, die Fahrtauglichkeit zu prüfen. Das kann zunächst ein eingehendes Gespräch sein, in dem sich die Führerscheinstelle einen persönlichen Eindruck verschafft. Das kann auch zu einer erneuten Fahrprüfung führen, die aber gerade für Senioren ihre Tücken hat: Ältere Menschen fahren zumeist immer dieselben Strecken, da kennen sie sich gut aus. In der Prüfung müssen sie plötzlich durch ganz fremde Straßen und sind entsprechend verunsichert.
Nun gibt es aber tatsächlich ältere Menschen, die im Straßenverkehr ein Risiko für sich und andere darstellen. Die Risikofrage ist aber nicht automatisch auch eine Altersfrage. Viel besser als jede gesetzliche Regelung funktioniert immer noch das System der sozialen Kontrolle. Wenn man bemerkt, dass jemand aus der Familie oder dem Bekanntenkreis unsicher fährt und dadurch ein Risiko wird, sollte man ihn darauf ansprechen. Dann kann man gemeinsam eine Lösung finden. Wenn sich jemand allerdings völlig beratungsresistent zeigt, ist es immer noch möglich, die Führerscheinstelle einzuschalten.
Man muss nicht immer sofort nach dem Staat und gesetzlichen Regelungen rufen. DAV/nd
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.