• Berlin
  • Proteste gegen Heß-Gedenken

»Ja, wir sind Gutmenschen. Und das ist gut so«

Tausende protestieren in Spandau gegen rechtsextremen Aufmarsch am Heß-Todestag / Neonazis wichen nach Friedrichshain aus

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 4 Min.

Nix zu holen gab es zunächst für all die Nazis, die am Sonnabend in Spandau Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß ehren wollten. Nur versprengte Grüppchen von wenigen Dutzend Rechtsextremen fanden sich gegen 12 Uhr auf der Schmidt-Knobelsdorf-Straße unweit des Bahnhofs Spandau ein. Nachdem sie in einem Wohngebiet von Gegendemonstranten am Abmarsch gehindert worden waren, zogen sie ab und sammelten sich später in Friedrichshain am Platz der Vereinten Nationen. Im vergangenen Jahr - zum 30. Todestag von Heß - war es dank Sitzblockaden gelungen, den Nazi-Aufmarsch bereits in Spandau zu stoppen.

Viele gesellschaftliche Gruppen beteiligten sich auch dieses Jahr an den zahlreichen Gegenkundgebungen. Schon am frühen Sonnabendmorgen fand eine Kundgebung der Grünen statt. Um 10:30 Uhr führte das »Bündnis für ein weltoffenes und tolerantes Berlin«, in dem sich Kirchen, Gewerkschaften und Parteien zusammengeschlossen hatten, eine Auftaktkundgebung durch. An zwei weiteren Orten harrten Menschen bei Mahnwachen gegen Rechts aus.

Der Berliner Bischof Marcus Dröge erinnerte während der Auftaktkundgebung daran, dass jeder Mensch die gleiche Würde habe. Er sagte: »Wo diese Würde gilt, ist unsere Heimat. Und wir lassen es nicht zu, dass diese demokratische Heimat von Rechten zerstört wird«.

Als um 12 Uhr die Gegendemonstration »Keine Verehrung von Naziverbrechen« des Bündnis gegen Rechts begann, war noch nicht klar, dass es heute keinen Nazi-Aufmarsch in Spandau geben werde. Rund 2500 Menschen protestierten fröhlich, aber bestimmt, gegen rechtes Gedankengut in der Gesellschaft und dessen Auswirkungen. Marion Geisler, die mit einem Schild »Omas gegen Rechts« mitdemonstrierte, erklärte, dass man trotzdem auch mit Rechten reden müsse: »Jeder kennt doch Rechte. Im Verein, in der Nachbarschaft oder in der Kneipe. Wir müssen in Dialog treten. Bei den Rechten gibt es doch auch Mütter und Väter, Omas und Opas. Hass ist kein Weg«.

Die Gruppe »Omas gegen Rechts« habe sich vor circa einem halben Jahr - angeregt durch eine ähnliche Gruppe in Österreich - gegründet. Mittlerweile gebe es, so die Aktivistinnen, Gruppen in Hamburg, Bremen und anderen Städten in Süddeutschland. In Berlin seien sie rund 30 Mitglieder. »Wir freuen uns über Mitstreiter. Auch hier auf der Demo haben sich Menschen uns spontan angeschlossen«.

Während der Demonstration äußerten mehrere Redner scharfe Kritik am Verhalten von Innensenator Andreas Geisel (SPD) und der Polizei. Geisel hätte gar nicht versucht, den Aufmarsch zu verbieten und die Polizei hätte die Rechten auch noch zum Aufmarschort eskortiert.

Als um 12:37 Uhr die Durchsage kam, dass die rechtsextreme Demonstration in Spandau offiziell abgesagt ist, brandete Jubel auf. Der Pfarrer der nahe gelegenen Melanchthonkirche läutete die Glocken aus Freude über den Erfolg. Frank Renken von »Aufstehen gegen Rassismus« sagte: »Es ist ein phantastischer Erfolg, dass Spandau nicht zum Wallfahrtsort von Rechten wird.« Er erklärte, dass Hitler der Meinung war, dass nur frühe und entschlossene Gegenwehr seiner Gegner ihn hätte stoppen können. »Diese Gegenwehr müssten wir heute leisten«, so Renken. Schließlich beendeten die Veranstalter die Demo vorzeitig und riefen dazu auf, sich nach Friedrichshain zu begeben, wo die Nazis nun alternativ aufmarschieren wollten.

Auf dem nicht weit von der Melanchtonkirche gelegenen »Fest der Demokratie« freute sich auch Spandaus Bürgermeister Helmut Kleebank (SPD) über den Erfolg: »Ihr habt wahnsinniges geleistet!«, rief er den verbliebenen paar hundert Demonstranten zu, die sich bei Bratwurst und Mineralwasser stärkten. Kleeman kündigte an: »Wenn die Rechten im nächsten Jahr wieder hier aufmarschieren wollen, werden wir im nächsten Jahr auch wieder hier stehen. Wir werden keinen Millimeter zurückweichen«.

Sigmout Königsberg, Antisemitismusbeauftragter der jüdischen Gemeinde, sah allerdings keinen Grund zur Entwarnung: »Wie kann man noch von ›wehret den Anfängen‹ reden. Wir sind doch schon mitten drin.« Außerdem sei er stolz darauf, von Rechten verunglimpft zu werden. »Und wenn wir Gutmensch genannt werden. Ja, wir sind Gutmenschen. Und das ist gut so.«

Gegen 15 Uhr schließlich konnte sich ein Demonstrationszug der Nazis am Platz der Vereinten Nationen in Friedrichshain formieren und zog, geschützt von einem massiven Polizeiaufgebot, durch den Bezirk Richtung Bahnhof Lichtenberg. Laut der Initiative »Ein Cent gegen die Nazis«, die für jeden teilnehmenden Rechtsextremen beim Heß-Gedenkmarsch eine durch Spender finanzierte Summe an die Organisation Sea Watch zukommen lassen will, versammelten sich 770 Rassisten in Friedrichshain. Der Aufmarsch brachte den Seenotrettern schließlich 14.640 Euro ein.

»Mich ärgert die Entscheidung der Versammlungsbehörde, die Demo durch die halbe Stadt zu lassen und dann in Lichtenberg abzuladen«, kritisierte Lichtenbergs Bürgermeister Michael Grunst (LINKE) auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Entlang der Aufmarschstrecke gab es vereinzelt lautstarke Proteste von Gegendemonstranten und wiederholte Blockadeversuche, die allerdings von der Polizei aufgelöst wurden.

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