Traf Jesidin auf ihren IS-Peiniger?

Aschwak T. fand nach IS-Gefangenschaft in Baden-Württemberg Schutz - hier habe sie ihr Folterer bedroht

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 5 Min.

Eine erschreckende Vorstellung: Lebt ein Sklavenhalter und Vergewaltiger des Islamischen Staates als Flüchtling unbehelligt in Deutschland? Genau dies gibt zumindest die 19-jährige Jesidin Aschwak T. an. Ein Artikel der irakischen Nachrichtenseite »Basnews« machte jüngst auf den Fall aufmerksam, die Geflüchtete selbst wandte sich auch in einem Youtube-Video an die Öffentlichkeit.

Mitte Februar in der baden-württembergischen Kleinstadt Schwäbisch Gmünd. Aschwak befindet sich auf dem Weg in das Flüchtlingsheim, in dem sie mit ihrem Bruder und ihrer Mutter lebt. 2015 konnte sie im Rahmen eines Sonderprogramms der Landesregierung nach Deutschland einreisen - das Projekt war an traumatisierte Jesidinnen gerichtet, die dem Terror des IS entkommen waren. Auch Aschwak hatte diesen Alptraum durchlebt. Nach eigener Aussage war die damals 15-Jährige von islamistischen Milizen aus Nordirak nach Syrien verschleppt und auf einem Sklavenmarkt verkauft worden. Ihr Preis 100 Dollar, ihr »Besitzer« ein Kämpfer namens »Abu Humam«.

»Er hat mich geschlagen, jeden Tag. Ich musste putzen und aufräumen«, erzählt Aschwak in dem Video auf Deutsch. Monatelang habe der Kämpfer sie missbraucht, eines Nachts schaffte sie es zu fliehen. 2015 durfte Aschwak als eines von 1100 »besonders schutzbedürftigen« IS-Opfern nach Baden-Württemberg.

Drei Jahre später, vermeintlich in Sicherheit, läuft Aschwak auf dem Nachhauseweg nun dieser Mann entgegen. Er kommt ihr bekannt vor - sie erkennt in ihm plötzlich ihren ehemaligen Peiniger. »Er hat vor mir gestanden und gesagt: ›Du bist Aschwak!‹«, berichtet die 19-Jährige. Sie habe erwidert, sie kenne niemanden, der so heißt. Daraufhin habe der Mann sie gemustert und gesagt: »Du musst nicht lügen.« Er wisse alles über sie und ihr Leben in Deutschland.

Kurdish Yezidi Girl Who Escaped IS, Flees Germany After Meeting Her Abuser There

Aschwak rennt weg, meldet sich bei der Polizei. Die Beamten hätten ihr gesagt, dass man nichts machen könne, so der Vorwurf im Video. Für den Notfall habe sie lediglich eine Telefonnummer erhalten. Aschwak flieht zurück nach Nordirak, hier fühlt sie sich sicherer. »Ich will nicht mehr nach Deutschland gehen, ich habe zu viel Angst«, sagt sie. Von Erbil aus erhebt die 19-Jährige schwere Vorwürfe gegen die Bundesrepublik: Man habe sie nicht ausreichend geschützt und nicht ernst genommen.

Schon länger sind Behörden in Deutschland mit dem Fall betraut. Ein Sprecher der Stadt Schwäbisch Gmünd beteuert, dass man Aschwak eine anonymisierte Wohnung angeboten habe, diese aber nicht in Anspruch genommen worden sei. Das Landeskriminalamt ermittelt seit März gegen »Abu Humam«, die Bundesanwaltschaft seit Juni - bislang jedoch ohne Ergebnisse.

»Wir sind dem nachgegangen, doch bisher ist es uns nicht gelungen, mit Sicherheit den Schuldigen zu identifizieren«, sagte eine Sprecherin aus Karlsruhe gegenüber »nd«. Man nehme die Schilderungen aber ernst, auch wenn die Angaben der Jesidin »nicht sehr präzise« waren. Eine Befragung scheiterte bisher, weil die 19-Jährige nicht in Deutschland sei. »Unsere Hoheitsbefugnisse enden an der Grenze«, so die Sprecherin. Auch das LKA hatte mitgeteilt, die Ermittlungen könnten nicht fortgeführt werden, da die Zeugin »nicht erreichbar ist«.

Aschwak hat für diese Erklärung kein Verständnis. »Warum rufen die mich nicht an?«, fragt die Jesidin in deutschen Medien. Sie wolle den Behörden weiter helfen, nachdem sie in Deutschland bereits ein Phantombild mit der Polizei angefertigt hatte. Schließlich sei sie nicht die Einzige, die betroffen sei. In den vergangenen Tagen hatten sich weitere Jesidinnen gemeldet, die ebenfalls »Abu Humam« gesehen haben wollen.

Die Glaubwürdigkeit von Aschwaks Aussagen ist Experten zufolge schwer zu beurteilen. Der Psychologe Jan Ilhan Kizilhan, der in Baden-Württemberg jesidische Frauen betreut, wies daraufhin, dass man dem Bericht Glauben schenken sollte. Aufgrund der traumatisierenden Erfahrungen könnte aber auch eine Verwechslung möglich gewesen sein.

Michael Blume, ehemaliger Leiter des Jesidinnen-Rettungsprojektes und heutiger Antisemitismusbeauftragter von Baden-Württemberg, kannte Aschwak persönlich. »Ihre Angaben enthalten Sprünge, beginnend schon bei falschen Daten. Sie wurde von der Landespolizei angehört, aber konnte den IS-Peiniger nicht eindeutig identifizieren«, schreibt der Wissenschaftler in einer Stellungnahme. Man sollte ihre Aussagen einerseits ernst nehmen, ihr aber auch Ruhe und Sicherheit geben. »Starke Ängste können jahrelang immer wieder auftreten, Erinnerungen können sich leicht verzerren«, so Blume. Für Jesiden in Deutschland ist laut dem Wissenschaftler ein eigenes Programm zur Aussage gegen ihre Peiniger geschaffen worden. Die Behörden haben seiner Einschätzung nach »vorbildlich« gehandelt - im Internet werde ein Skandal konstruiert.

Tatsächlich haben vor allem rechte und rassistische Online-Nutzer den Fall von Aschwak für sich entdeckt. Sie instrumentalisieren die Geschichte als Beleg für eine vermeintliche Niederlage deutscher Behörden gegenüber dem Islamismus. »Sie benutzen die Aussage von Aschwak, um die Erregung gegen die Demokratie und gegen den liberalen Rechtsstaat anzustacheln«, so Blume.

Auch in der Parteipolitik sorgt Aschwaks Geschichte für Trubel. Die Grünen und die FDP in Baden-Württemberg fordern Aufklärung vom CDU-geführten Innenministerium. Es geht darum, ob es weitere Fälle gebe und ob alles getan wurde, um die Jesidin schützen. Das Ministerium versicherte, alle möglichen Vorkehrungen getroffen zu haben, »um für Aufklärung und Schutz zu sorgen«.

Der Zentralrat der Jesiden in Deutschland erklärte in einer Stellungnahme: »Es wäre falsch, die Behörden unter Generalverdacht zu stellen. Dennoch muss geklärt werden, warum es so weit kommen musste, dass Aschwak sich in Deutschland nicht mehr sicher gefühlt hat.« Man habe anwaltliche Unterstützung eingeholt und Akteneinsicht beantragt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

- Anzeige -
- Anzeige -