- Wirtschaft und Umwelt
- Athen in der Krise
Kein neues Kapitel für Griechenland
Opposition und Ökonomen kritisieren katastrophale Folgen des Sparzwangs
Geht es nach EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici, dann hat Griechenland ein neues Kapitel in seiner Geschichte aufgeschlagen. »Nun kann ein symbolischer Schlussstrich unter eine existenzielle Krise des Euro-Währungsgebiets gezogen werden«, erklärte Moscovici anlässlich des planmäßigen Ausscheidens Griechenlands aus dem dritten Kreditprogramm am Montag. Die umfangreichen Reformen, die Griechenland durchgeführt hat, hätten den Grundstein für eine nachhaltige Erholung gelegt. Doch nicht jeder sieht das wie Moscovici.
Acht Jahre lang war das Land weitgehend von den Kapitalmärkten abgekoppelt und hat dafür Kredite von den internationalen Gläubigerinstitutionen erhalten. Im Rahmen von drei Kreditprogrammen flossen insgesamt 288,7 Milliarden Euro an Darlehen.
»Tatsächlich kamen von den sogenannten Rettungsprogrammen weniger als fünf Prozent den griechischen Bürgerinnen und Bürgern, der Infrastruktur oder Regierungsvorhaben direkt zugute«, erklärte der LINKE-Vorsitzende Bernd Riexinger am Montag. Hunderte Milliarden an öffentlichen Geldern seien in den Schuldendienst geflossen, wovon auch deutsche Banken profitierten.
Die harten Reformen, zu denen der Internationale Währungsfonds, die EU-Kommission, die Europäische Zentralbank und später auch der Eurorettungsschirm ESM Athen verpflichteten, hatten Riexinger zufolge massive negative Auswirkungen auf die griechische Bevölkerung. »Die Arbeitslosenquote besonders unter Frauen und Jugendlichen ist hoch, das Gesundheitssystem musste kaputt gespart werden«, so der LINKE-Politiker. »Insgesamt hat Griechenland 25 Prozent seiner Wirtschaftskraft verloren.«
»Griechenland steht am selben Punkt, im gleichen schwarzen Loch und es versinkt jeden Tag tiefer darin. Auch, weil die Sparvorgaben der Gläubiger Investitionen und den Konsum behindern«, sagte Griechenlands ehemaliger Finanzminister Yanis Varoufakis der »Bild«-Zeitung. Auch Grünenpolitiker kritisierten am Montag die Sparauflagen. »Die harte Kaputtsparpolitik, die von der Bundesregierung massiv vorangetrieben wurde, hat viel Schaden im Land angerichtet«, sagten die beiden Bundestagsabgeordneten Sven-Christian Kindler und Franziska Brantner in einer gemeinsamen Erklärung.
Dabei bleibt Athen weiterhin unter der Fuchtel der EU-Kommission. Im Gegenzug für Liquiditätspuffer und verlängerte Kreditlaufzeiten musste sich das Land verpflichten, bis 2023 ohne Berücksichtigung des Schuldendienstes einen Überschuss von 3,5 Prozent im Staatshaushalt und bis 2060 ein Plus von 2,2 Prozent zu erwirtschaften. »Eine solche Haushaltsvorgabe ist ein fundamentales Misstrauensvotum gegenüber der griechischen Politik«, so der Griechenlandexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Alexander Kritikos. Es werde viele griechische Regierungen erheblich darin einschränken, durch staatliche Investitionen Wachstum zu fördern und die Wirtschaftstätigkeit anzukurbeln.
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