Abschied vom Inseldasein

Griechenland holt in Sachen Gleichstellung von Homosexuellen auf. Doch Rechte und Kirche stemmen sich dagegen

  • Elisabeth Heinze, Thessaloniki
  • Lesedauer: 6 Min.

»Skala Eressos ist eine Ausnahme«, sagt Ioanna Savva, das Dorf sei freundlich gegenüber Homosexuellen und Transmenschen. In dem Küstenort auf der Insel Lesbos organisiert sie seit 18 Jahren ein Frauenfestival, das LGBTI-Menschen aus aller Welt anzieht. Hier wurde die Dichterin Sappho 600 Jahre vor Christus geboren, die in ihren Versen die Schönheit der Frauen und die Liebe zu ihnen pries. Mithin wurde weibliche Homosexualität »sapphische« und »lesbische« Liebe genannt. Trotz des historischen Bezugs - ganz selbstverständlich ist die Akzeptanz durch die Einheimischen nicht. Noch vor zehn Jahren scheiterten drei Bewohner mit dem kläglichen Versuch, die Bezeichnung »Lesbe« beziehungsweise »Lesbier« gerichtlich ausschließlich für sich als Insulaner reservieren zu lassen.

Dabei lag Homosexualität zu Platons Zeiten bekanntlich innerhalb der Norm, die Antike wird wiederum ausführlich an griechischen Schulen behandelt. Können folglich die alten Griechen in ihrer Vorreiterfunktion in Sachen Diversity herangezogen werden?

An einer »Macho«-Lesart kann es scheitern: Während ihrer Schulzeit wurde gleichgeschlechtlicher Sex als »spirituell-intellektuelle Verbindung zwischen Männern« dargestellt, erinnert sich Krystallena. »Die waren auch nicht schwul, denn sie hatten Familie und Kinder.« Die 37-Jährige wuchs in der nordgriechischen Kleinstadt Ptolemaida auf. Jetzt prüft sie mit ihrem Blick die Bedienung eines Cafés in Toumba, im Osten von Thessaloniki. »Ist die lesbisch?« Tagsüber nippen Senioren ihren Kaffee im Erdgeschoss des Häuserblocks, am Abend ist der Ort bei der jüngeren Nachbarschaft als gayfriendly, also homofreundlich, bekannt - zumindest bei den Eingeweihten.

Krystallena, ungeschminkt, mit ihren rosa-grauen Haaren weitaus weniger unscheinbar als unser Treffpunkt, sitzt ganz aufrecht. Gefasst berichtet sie über die Schwierigkeiten, sich als Lesbe zu outen. »Ich hatte zwei verschiedene Stimmen in mir. Die eine sagte: «Ich muss es unbedingt geheim halten, denn es ist wichtig, gemocht zu werden». Daneben gab es das Bedürfnis, sich jemanden mitzuteilen.« Im Alter von 22 Jahren erzählte sie einer Freundin davon - nachdem sie den Film »Monster« gesehen hatten, in dem Charlize Theron eine männerverachtende, lesbische Serienkillerin spielt. »Im Anschluss machte ich Andeutungen. Es fiel mir so schwer. Erst wurde nicht klar, dass ich nicht nur über den Film sprach.«

Schlussendlich fühlte sie sich gut angenommen und weihte nach und nach den Freundeskreis ein. In der Öffentlichkeit hielt sie sich zurück und versteckte ihre Neigung vor ihrer Familie. Die Geheimniskrämerei machte ihr zu schaffen. Vor zehn Jahren sei es in der zweitgrößten Stadt des Landes - Thessaloniki - nicht möglich gewesen, händchenhaltend mit einer Partnerin rumzulaufen. »Mir fehlte die Luft zum Atmen. Ich musste das Land verlassen«, so Krystallena.

»Den Menschen der jüngeren Generation geht es schon viel besser«, meint Thanos Vlachogiannis, Organisator des Gay-Pride-Marsches Thessaloniki. Das dürfte an progressiven Gesetzesmaßnahmen liegen: 2015 führte die Regierung unter Alexis Tsipras die eingetragene Lebenspartnerschaft für Homosexuelle ein. Ende 2017 wurde ein Gesetz verabschiedet, das Transgendermenschen die Angabe ihres Geschlechtes in offiziellen Dokumenten erleichtern soll. Bis dahin sollten Betroffene eine operative und hormonelle Geschlechtsumwandlung vollzogen haben und die psychiatrische Diagnose einer »Geschlechtsidentitätsstörung« beifügen.

Anfang Mai hat das Parlament nun mit einer knappen Mehrheit beschlossen, dass gleichgeschlechtliche Paare in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft Kinder zur Pflege aufnehmen dürfen. Ein Blick auf die »Regenbogenkarte Europa« von ILGA-Europe zeigt, wie stark Griechenland in Sachen Menschenrechte der LBGTI aufgeholt hat: 2013 wurden nur 28 Prozent, im Jahr 2017 bereits 52 Prozent der Gleichstellungskriterien verwirklicht. Damit liegt Griechenland, zwei Plätze hinter Deutschland, auf Platz 14.

Das Implementieren von Gesetzen ist das Eine, eingespielte ausgrenzende Verhaltensweisen und Gewalt sind das Andere: Im Jahresreport über rassistische Gewalt von 2017 betrafen von mehr als 100 Angriffen immerhin 47 LGBTI-Menschen. Ein weiterer ereignete sich kürzlich: Unbekannte griffen ein schwules Paar, das die Regenbogenflagge trug, auf dem Weg zur Gaypride der Küstenstadt Thessaloniki, an und stießen einen der Männer in den Thermaischen Golf.

Neben der rechten Bewegung spricht sich vor allem die christlich-orthodoxe Kirche gegen Gleichstellungsmaßnahmen aus und lehnt nicht-heteronormative Genderidentitäten ab. Sie sieht das traditionelle Familienmodell gefährdet. So rief der Bischof Ambrosios von Kalavryta 2015 sogar dazu auf, offenkundige Homosexuelle zu bespucken. Kirche und Staat bilden in Griechenland ein enges Gespann. Was die Kirche sagt, hat für Viele hohe Relevanz. Auch gegen die Gaypride polemisierte Oberbischof Anthimos von Thessaloniki seit ihren Anfängen.

Vlachogiannis hat kürzlich die siebte Parade, die im Juni stattfand, erfolgreich umgesetzt. Mit dem diesjährigen Motto »Familie« sollte auch das Adoptionsrecht für LGBTI-Menschen eingefordert werden. Beim Thema Kirche seufzt der Organisator wissend. Er sei schon erleichtert, wenn weniger Gegenreaktion komme. Es ginge um Toleranz, nicht mal um Akzeptanz. Weil die nicht gegeben ist, outen sich Viele nicht, so Vlachogiannis. Üblich sei ein »stufenweises Coming out«, bei dem die Familie die letzte Festung ist.

So auch bei Krystallena. Bis sie nach ihrer Rückkehr nach Griechenland ihre Angehörigen einweihte, vergingen Jahre. Tatsächlich hallte ihr viel Widerspruch entgegen: »Für meine Familie war das falsch. Meine Schwester ging so weit, dass sie es als krankhaft bezeichnete.« Indes habe sich das Verhältnis zu ihren Eltern vertieft.

Angesichts negativer Reaktionen und des gesellschaftlichen Klimas ist Selbstakzeptanz kein Leichtes. Das Hadern mit der Zugehörigkeit kann sich bis zur Selbstleugnung steigern. Das Phänomen des »Doppellebens«, inner- und außerhalb der Kirche, zeugt davon. Womöglich leben einige Familien längst mit »Abweichungen«, halten nach außen hin am konservativen Lebensmodell fest. »In Griechenland ist alles so vorprogrammiert. Du gehst zur Schule, studierst, heiratest, wirst schwanger, kümmerst dich um Kinder. Das ist alles, das ist das Leben«, sagt Krystallena augenrollend. Die Rolle der Frau ist oft an bestimmte Erwartungen gebunden. Krystallena möchte nicht mit allen brechen. Eine Familie, die weder den Schein wahrt, noch »sich zurückziehen muss«, wünscht sie sich.

Homosexuelle und LGBTI-Menschen sind kaum öffentlich sichtbar. Das gilt in der männerdominierten Gesellschaft umso mehr für Frauen. Sie würden meist nicht als lesbisch erkannt. Was nicht wahrnehmbar ist, das kann nicht irritieren. Aber nicht jede möchte auffallen, nicht jedem liegt das Extrovertierte einer Gaypride, nicht ständig mag mensch die Ausnahme sein. Auch das Internationale Sappho Frauenfestival an der lesbischen Küste sei »nichts für Partyanimals«, nicht wie Mykonos, versichert Ioanna Savva. Vom florierenden LGBTI-Markt profitiert das mediterrane und sichere Reiseland. Gegenüber Touristen tritt Griechenland tolerant und offen auf. Nichtsdestotrotz seien die Griechen nicht an Lesben gewöhnt, meint die Veranstalterin. Deswegen entschied sich sie bewusst, das Festival am Ende der Saison, im September stattfinden zu lassen. Dann sind die einheimischen Familien abgereist, zurück auf dem Festland.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -