Hundert Jahre Haft
Eine Doku über den linken Regisseur Yilmaz Güney eröffnet das Kurdische Filmfestival
Von Gunnar Decker Die Geburt des kurdischen Kinos lässt sich genau datieren: in Yilmaz Güneys Film »Yol« (»Der Weg«) von 1982 tauchte erstmals bei einem Kameraschwenk über eine weite Landschaft in großen Lettern die Inschrift »Kürdistan« auf. Und das vor großem internationalen Publikum beim Filmfestival in Cannes. Ein Tabubruch. Jedoch einer in einer langen Reihe, die mit dem Namen des Regisseurs und Schauspielers Yilmaz Güney verbunden sind.
In seiner Biografie kommt vieles von dem zusammen, was sich an Konflikten in der türkischen Gesellschaft angesammelt hat: Aus ärmsten Verhältnissen stammend (die Mutter war Kurdin), studierte er an der Universität in Ankara, drehte seine ersten Filme mit dem Regisseur Atif Yilmaz. Politisch links stehend, wurde er das erste Mal 1960 nach dem Militärputsch wegen Veröffentlichung kommunistischer Schriften verhaftet. Fortan wurde er immer wieder politisch verfolgt. Auch deswegen ist er in der Türkei - nicht nur für Kurden - zur Legende geworden, so etwas wie das filmische Gewissen der Bevölkerung.
Aber was für ein Mensch verbarg sich hinter dieser Legende? Dem geht der Eröffnungsfilm des Kurdischen Filmfestivals nach, das seit 2002 in Berlin veranstaltet wird, kurdische Filme vorstellt und zur Diskussion über Politik, Kunst und Kultur einlädt. Hüseyin Tabak drehte eine erstaunliche Dokumentation über Yilmaz Güney: »Die Legende vom hässlichen König«. Sie rekonstruiert das gefährliche Leben Güneys.
1982 auf dem Filmfestival in Cannes rechnete niemand mit »Yol«. Ettore Scola hatte gerade »Flucht nach Varennes« gedreht, einen feinsinnigen Film, der im Schatten der Französischen Revolution von 1789 spielt, mit Marcello Mastroianni und Hanna Schygulla. Scola bat die Festivalleitung, ihn im Wettbewerb bloß nicht zusammen mit einem US-amerikanischen Blockbuster zu zeigen, der ihm die Luft nehme. Nein, versicherte man ihm, man stelle ihn neben einen kleinen türkischen Beitrag, der ihm keine Konkurrenz sein könne. Von wegen! Auch Costa-Gavras, der mit seinem Film »Missing« (über den Militärputsch 1973 in Chile) im Wettbewerb vertreten war, bekam zu hören, dass er einen ernsthaften Konkurrenten um die Goldene Palme habe. Wer ist bloß dieser Yilmaz Güney, der solch ein wuchtiges Filmepos über die Verwerfungen der türkischen Gesellschaft geschaffen hatte, dass er dafür (zusammen mit Costa-Gavras) die Goldene Palme bekam?
Der 1981 als Kind kurdischer Gastarbeiter in Bad Salzuflen geborene Hüseyin Tabak schrieb das Drehbuch zu »Der hässliche König« und führte Regie. Er ahnte, dass sich in Güneys Biografie exemplarisch die türkisch-kurdische Geschichte spiegelt - und wollte es genauer wissen. Denn, so sagt er eingangs des Films, alles, was er über Güney wusste, »war verwirrend und geheimnisvoll«.
So entstand die Geschichte eines »Mannes aus dem Volk«, der sich den ärmsten Schichten auch thematisch in seinen Filmen immer verbunden fühlte. Aber das klingt immer noch sehr allgemein nach Legende. Die Aussage, er sei einer gewesen, der keinem Konflikt aus dem Weg ging, trifft es schon genauer. Tabak spricht mit Güneys beiden Ehefrauen, mit der Tochter, mit Schauspielern und Freunden, aber auch mit Michael Haneke, mit Costa-Gavras und mit Jack Lang, dem französischen Kulturminister der Mitterrand-Regierung, die Güney schließlich Zuflucht bot (während Deutschland und die Schweiz ihm diese wegen seiner radikal sozialistischen Positionen verweigerten).
Tabak gelingt das widersprüchliche Porträt eines gegen alle widrigen Umstände höchst schöpferischen Menschen - und das jenseits des Mythos vom »Freund des einfachen Volkes«, auf den man Güney oft reduziert. Da wird Kino zur Lehrstunde in Sachen Geschichte, aber eben mit den Mitteln der Kunst. Wie tief diese Kunst mit dem schwierigen Alltagsleben Güneys verbunden blieb, zeigt Tabak in dieser Form zum ersten Mal. Das Wort vom »hässlichen König« sagt bereits einiges. Denn Güney galt als Schauspieler als zu hässlich. Das türkische Kino wollte schöne Gesichter, aber dieses hier war wild und rau, so wie auch sein Charakter. Die erste Ehefrau erzählt, wie er sie aus Wut einmal mit dem Auto überfuhr und dann fünf Tage in tiefer Reue an ihrem Bett im Krankenhaus saß. Scheiden ließ sie sich trotzdem.
Was 1974 in einem Restaurant in Yumurtalik passierte, ist im Detail bis heute nicht aufzuklären. Fakt ist, dass Güney dort mit Freunden zum Essen saß und mit einem zufällig anwesenden türkischen Richter in Streit geriet. Nach dem Streit war dieser tot und Güney wurde zu 19 Jahren Haft verurteilt. Zu seinem Glück sahen viele Kurden und auch Türken in ihm ein Idol. Er bewegte sich im Gefängnis so, als sei er dort der Direktor, erinnern sich Zeugen. Ging hinaus, zum Essen, zu Besprechungen oder ins Kino, ganz wie er wollte. Seine Ausstrahlung muss überwältigend gewesen sein. Nur so ist erklärbar, dass er aus der Haft heraus begann, Regie zu führen. Sein Film »Sürü« (»Die Herde«) über die Ablösung von der archaischen Blutfehde entstand so und auch »Yol«. Nur selbst an die Drehorte durfte er nicht. Also instruierte er seine Assistenten genau, wie jede der Szenen zu drehen sei, ließ sich die Muster in Gefängnis schicken.
1980 gab es einen weiteren Militärputsch in der Türkei. Güney schrieb dagegen aus dem Gefängnis an und bekam zur Strafe hundert (!) Jahre zusätzliche Haft. Er befand sich zu der Zeit im halboffenen Vollzug auf einer Gefängnisinsel und arbeitete an »Yol«, einem Film über Freigänger aus dem Gefängnis, die besuchsweise nach Hause fahren dürfen und eine völlig veränderte Türkei vorfinden: kaputte Familien, Korruption, Gewalt. Er beschloss, nun doch ins Ausland zu fliehen, wurde von Freunden auf einem Boot nach Griechenland gebracht und kam von dort in die Schweiz, wo er »Yol« im Verborgenen schnitt - sodass der Film 1982 in Cannes gezeigt werden konnte. Bis zu seinem Tod im Alter von 47 Jahren zwei Jahre später lebte Güney in Paris unter dem Schutz der französischen Regierung. »Der hässliche König« ist eine eindrucksvolle Lehrstunde darüber, wie stark ein künstlerischer Wille sein muss, um sogar schier ausweglose Lagen zu überstehen.
Unterschiedlichste Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme werden vom 23. bis zum 29. August während des »Kurdischen Filmfestivals« gezeigt, darunter ein weiterer Film von Hüseyin Tabak: »Das Pferd auf dem Balkon« über einen Zehnjährigen mit Asperger-Syndrom. Auch von Fatih Akin laufen zwei Filme, die Bestsellerverfilmung »Tschick« und »The Cut«, in dem es um einen Überlebenden des Genozids an den Armeniern geht, der seine Familie und seinen Glauben verlor, bis ihm eines Nachts eine Stimme sagt, seine Zwillingstöchter seien noch am Leben. Die deutsch-irakisch-kurdische Co-Produktion »Das Milan-Protokoll« handelt von einer deutschen Ärztin in der Kurdenregion des Irak, die plötzlich zwischen alle Fronten gerät, weil sie in Syrien auch kurdische Kämpfer gegen den IS behandelt. Hier kollidieren die Interessen vieler Seiten, auch der BND spielt plötzlich eine Rolle, und die Ärztin, die doch bloß Menschen helfen wollte, droht zerrieben zu werden.
23. bis 29. August, Programm unter: kurdischesfilmfestival.de
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