Wo die Pflanze der Erkenntnis duftet
Ein Netzwerk von 24 Bodenseegärten macht Europas Gartenbaugeschichte erlebbar.
Wenn sich Sabine Bronner, Gärtnerin auf der Insel Mainau, an einem Beet zu schaffen macht, streichen stets neugierige Besucher um sie herum. Wie befreien Sie ohne Chemie Rosen von Läusen? Wie schneiden Sie Lavendel? Was machen Sie im Winter mit den Dahlienknollen? Solche Fragen haben sie und ihre 60 Kolleginnen und Kollegen schon tausendfach gehört. Sie nehmen’s gelassen und antworten geduldig - jedes Mal. Das gehöre zu ihrem Job, sagt Sabine Bronner, sie arbeite ja nicht im Hintergrund in irgendeiner Gärtnerei oder beim Grünflächenamt. Sondern auf der wahrscheinlich bekanntesten Blumeninsel der Welt. Und, so sagt auch Inselchefin Gräfin Bettina Bernadotte, »wir geben unser Wissen gerne weiter. Wer will, kann hier sogar selbst mal Mainaugärtner sein und mit den Profis zusammenarbeiten.«
Neue Konzepte entwickeln, das ist eines der Ziele des Netzwerks »Bodenseegärten - eine Reise durch die Zeit«, zu dem auch die Insel Mainau gehört. 24 Parks, Gärten und Anlagen in drei Ländern rund um den Bodensee sind mittlerweile dabei. »Gärten hatten hier schon immer eine Bedeutung«, sagt Vereinsgeschäftsführerin Monika Grünenfelder. »So viele unterschiedliche wie am Bodensee mit seinem milden Klima, den fruchtbaren Böden und der schönen Natur findet man selten.« Deshalb kam die Idee mit dem Netzwerk auf: sich unter einem Dach vermarkten, zusammen Angebote schnüren wie die »Lange Nacht der Bodenseegärten« am ersten Septemberwochenende, die »Bauerngartenroute«, »Zauberhafte Klänge zwischen Rosen« oder Rundgänge mit Garten-Gästeführern. Das Netzwerk hat noch ein weiteres Anliegen: »Es geht uns um eine nachhaltige Entwicklung und Sensibilisierung, damit dieses Natur- und Kulturerbe erhalten wird. Unsere Gärten erzählen die ganze Gartenbaugeschichte Europas.«
Die ist sinnlich erlebbar. Der steinzeitliche Garten im schweizerischen Frauenfeld zeigt, wie unsere Urahnen Kolbenhirse, Buchweizen und Ackerbohnen anbauten. Im Bibelgarten in Meersburg duftet der Ysop, die Pflanze der Erkenntnis, und der bittere Geschmack des magenberuhigenden Weihrauchs bleibt im Mund haften, während Drogistin Christiane Ebert erklärt, was die Passionsblume mit Jesus zu tun hat und warum der Granatapfel der Apfel des Paradieses war. Auf der Gemüseinsel Reichenau erinnert ein Kräutergarten an den Mönch Walahfrid Strabo, der vor fast 1200 Jahren mit seinem Büchlein »Hortulus - über die Pflege von Gärten« den ersten Gartenratgeber Europas verfasste. Und im österreichischen Bregenz flaniert man ganz nah am Wasser durch wunderbar inszenierte Natur, die dem See Ende des 19. Jahrhunderts zugunsten des Fremdenverkehrs abgerungen worden war: von der Seebühne aus vorbei an leuchtenden Sommerblumeninseln, Hunderten mächtigen Eichen, Buchen, Linden und Pappeln bis zum Hafen.
»Als wär’s ein Stück Amalfiküste«, schwärmt drüben, am Schweizer Ufer Dominik Gügel, der Direktor des Napoleonmuseums, über den Ausblick von seinem Arbeitsplatz auf Schloss Arenenberg. Unterhalb plätschert der See in zwei geschwungenen Buchten, dahinter sieht man sanfte Hügel und Felder. Und die Vulkankegel des Hegau. Rund um das Schloss herum buddelten vor einigen Jahren Archäologen gut erhaltene Reste eines Landschaftsparks aus, in dem man heute wieder lustwandeln kann wie einst der letzte Kaiser von Frankreich. Eine Sensation, findet Dominik Gügel. Es war zwar bekannt, dass sich Napoleons Schwägerin Hortense de Beauharnais in ihrem Exil hier Anfang des 19. Jahrhunderts ihr kleines Arkadien geschaffen hatte. Sie wollte einen Lustgarten, ganz modern nach englischem Vorbild: mit verschlungenen Pfaden, die immer wieder Sichtachsen auf den See oder exotische Bäume freigaben, künstlichen Grotten, einer Kaskadenwand aus Tuff und Tropfstein, einem Eiskeller zum Getränkekühlen, einer Eremitage und einer Fontäne, die 20 Meter hoch spritzte. »Sie und später ihr Sohn, Kaiser Napoleon III., hatten ein Faible für die Gartenkunst«, sagt Gügel. Die Besten ihres Faches schufen den Park, allen voran Fürst Hermann von Pückler.
Nachdem die kaiserliche Witwe den Arenenberg vor 100 Jahren dem Kanton Thurgau geschenkt hatte, verwilderte der Park, wurde teilweise zugeschüttet und vergessen. Was keiner ahnte: Die Gärtner hatten vorher sorgsam Torf, Moos, Geäst und Blätter darübergebreitet. So blieb vieles unversehrt. »Außerdem gab es zum Glück auch gute schriftliche Quellen«, sagt Gügel. So konnte der zentrale Bereich originalgetreu restauriert werden. Doch es blieb nicht nur beim Alten: Neben dem Park vermittelt heute das Bildungs- und Beratungszentrum Arenenberg grünes Know-how an angehende Landwirte und Hobbygärtner, auch die Schulgärten samt Hühnerstall sind zugänglich.
Open-Air-Bühne ist der historische Garten des Schlosses Salem am deutschen Ufer. Sting, der Reggae-Musiker Shaggy und die Scorpions traten hier Ende Juli auf. Und der Rasen, die prächtigen Bäume und die Blumenrabatte? »Die Leute schätzen den Park, wir haben kaum Schäden. Deswegen können wir solche Festivitäten hier organisieren«, sagt Schlossmanagerin Birgit Rückert. Aber auch deshalb, weil das einst mächtige Zisterzienserkloster mit seinen großzügigen Grünanlagen seit zehn Jahren zum großen Teil dem Land Baden-Württemberg gehört. Den Vorbesitzern, der markgräflichen Familie von Baden, waren die Schulden über den Kopf gewachsen.
»Seit dem Besitzerwechsel können alle rein«, sagt Birgit Rückert, nimmt einen Bund riesiger Schlüssel und dreht mal wieder ihre Runde: vorbei am Münster, den Prunkräumen der Abtei, dem alten Weinkeller, wo schon im 12. Jahrhundert der Rebensaft der klösterlichen Weingärten gepresst wurde und in dem immer noch beste Tropfen reifen. Sie passiert den Speisesaal der Mönche, wo sie aßen, was sie im Gemüse- und Kräutergarten und auf den Obstplantagen ernteten. Später, in der Barockzeit, war den Äbten so ein bescheidener Garten direkt vor ihrer Residenz zu popelig. Und so spaziert man heute durch einen viel repräsentativeren Formengarten, den sie stattdessen anlegen ließen. Mit symmetrischen Kieselwegen, Irrgarten, Heckenlabyrinth, viel meditativem Grün und Rosen.
Auch Gräfin Bettina Bernadotte, die Herrin der Insel Mainau, liebt Rosen. Am liebsten aber streift die zierliche Frau durchs Arboretum. »In dieser ganz eigenen Welt der alten Bäume fällt sofort aller Stress ab«, sagt sie. Japanische Schirmtannen, Lebkuchenbäume, Mammutbäume, Atlaszedern, Zimtrindenahorn: Die Baumsammlung des 19. Jahrhunderts mit weiteren Bäumen aus der ganzen Welt zu vervollständigen, war eine Leidenschaft ihres 2004 verstorbenen Vaters Graf Lennart. Er war es, der seit den 1930er Jahren aus der verwilderten Insel ein botanisches Gesamtkunstwerk und die meistbesuchte Attraktion am Bodensee machte. Das ist sie immer noch. »Mein Vater erklärte immer: Die Natur ist die Basis unseres Lebens und die Gartenkultur ein Stück Lebensqualität. Das steckt in uns drin«, sagt seine Tochter. Neben den Parkanlagen gibt es ein Schmetterlingshaus, ein Wildbienenhotel oder eine Ausstellung über das aktuelle Max-Planck-Forschungsprojekt »Icarus«, das mit Zugvögeln auf Langstrecke geht. Und durchs »grüne Telefon« werden ebensolche Fragen wie die nach den Dahlienknollen beantwortet. Es steht im Holzhaus des neuen Gartenteils »Platanenweg 5«, der unterschiedliche Hausgärten präsentiert. Aber die Insel ist auch immer noch ein berauschendes Blumenmeer, mit Riesenpfau aus Blüten, italienischer Blumenwassertreppe und spektakulären Rosenspalieren.
Einheimische Pflanzen und Naturnähe statt Exoten, das ist das moderne Garten- und Parkkonzept. So wie in Überlingen, wo Geschäftsführer Roland Leitner und die Mitarbeiter mit Volldampf die Landesgartenschau 2020 vorbereiten und für den Bürgerpark das gesamte Bodensee-Ufer umgestalten. Aus einem vernachlässigten Gewerbegebiet wird ein Garten mit Arten, die typisch sind für unberührte Seeufer, aber wegen Bebauung und Überdüngung nur noch als Raritäten vorkommen. Einige letzte rettete der Botanische Garten der Universität Konstanz. Zwei Jahre lang haben die Stadtgärtner die Pflänzlein gezogen und aufgepäppelt: Bodensee-Vergissmeinnicht, Nadelbinse, Strandling und die Strandschmiele, ein Süßgras mit zarten weißen Blüten. Es ist einzigartig und gehört zu den am stärksten bedrohten Arten Mitteleuropas. Nun bekommt es eine neue Chance.
Infos
Infos zu allen 24 Parks und Gärten:
Tel.: (07531) 90 94 30
www.bodenseegaerten.eu
Einmal Mainaugärtner sein: 170 Euro pro Person Buchung unter: Tel.: (07531) 30 31 13
Tipp:
»Lange Nacht der Bodenseegärten«, 7. bis 9. September Programm unter: www.bodenseegaerten.eu/ langenacht
Auch per Rad kann man die Bodenseegärten erfahren: Sechs Tage ab 499 Euro p. P. Buchung bei Radweg-Reisen in Konstanz: Tel.: (07531) 81 99 30, www.radweg-reisen.com
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