Poetische Träume und verdammt reale Gewalt
Hip-Hop dominiert die zweite Hälfte von »Tanz im August«
Im seinem vorletzten Abschnitt präsentierte »Tanz im August« zwei Compagnien, deren Leiter eindrucksvoll zeigen, dass man Hip-Hop von der Straße auf die Bühne holen, ihn durch andere Stile erweitern und mit inhaltlichen Anliegen verbinden kann. Mourad Merzouki, Jahrgang 1973 aus Lyon, hat sogar Fabeln des französischen Schriftstellers Jean de La Fontaine (1621 - 1695) tanzen lassen und betritt nun Neuland. Für »Pixel« von 2014 hat er sich mit zwei Digitalkünstlern verbündet und seinen Tanz in einen Raum aus verblüffenden visuellen Effekten gestellt. Entstanden ist ein ungemein poetisches Miteinander zweier Ausdrucksformen.
Zu sanftem Streicherklang ziehen die zehn famosen Tänzer der »Compagnie Käfig« auf. Schnee fällt in weißen Pixelpunkten, wird dichter, kann aufwirbeln, von den Akteuren fortgewischt werden oder sie heftig umtreiben. Mal agieren sie hinter, mal vor der Leinwand. Mit leichter Hand verbindet Merzouki seine Bilder, reißt zwischenmenschliche Beziehungen an, ordnet Bodenartistik oder Impulswellen unaufdringlich und ohne marktschreierische Tricks seinem Theaterkonzept unter. Ein Rollschuhfahrer und Spiel mit dem Cyr Wheel, fügen sich ein; das Duett zwischen einer Kontorsionistin, einziger Frau in einer Männerwelt, und einem Hiphopper gehört zu den Höhepunkten. Diffuses Licht, etwa von zwei selbst fahrenden Mini-Rädern, hüllt den Tanz zauberisch ein. Erst zum tosenden Applaus nach angenehmen 60 Minuten darf die Crew als Zugabe zeigen, was sie sonst noch auf dem Kasten hat.
Traumwandeln Merzoukis Tänzer in virtuellen Welten, verankert der andere Großmeister des bühnengemäß aufbereiteten Hip-Hop seinen Tanz fest in der Realität. Bruno Beltrão, mit Jahrgang 1979 aus Niterói nahe Rio de Janeiro am anderen Ende der Welt wirkend, ist in Berlin durch Gastspiele wohlbekannt. Mit dem 50-Minüter »INOAH« ist er nun über sich hinausgewachsen. Den Zustand seiner von Korruptionsskandalen geschüttelten Heimat beschreibt er mit den zehn Hochleistungs-Virtuosen der »Grupo de Rua« und verstrickt sie dazu nach fast stoischem Beginn in atemverschlagend aberwitzige Kaskaden gefederter, gerempelter, gesprungener, durch den Raum fliegender oder über den Boden hechtender Bewegungen, die bravourös Grenzen überschreiten und gleichsam das beklemmende Abbild einer Gesellschaft zwischen Attacke und Abwehr, Lähmung und Aufbegehren liefern. Über dem Lauf der Hip-Hop-Gladiatoren erlischt das Licht, nicht aber die Hoffnung.
Ein sozial unterfüttertes Thema greift auch Constanza Macras auf. »Chatsworth«, benannt nach einem Township an der Ostküste von Südafrika in Durban, erzählt von indischen Einwanderern seit 1860 und wie sie während der Apartheid der 1950er Jahre in Ghettos isoliert wurden. Sie entstammen verschiedenen Landesteilen und Glaubensrichtungen, vom strenggläubigen Hindu bis zum Gay im Kampf um Anerkennung, haben unterschiedliche Hautfarbe. Das erzeugt Konflikte. Einer will Moksha, Erlösung, erreichen und scheitert, andere streiten, welches Musical sie einstudieren wollen und können sich nicht entscheiden, ob das Stück von Nelson Mandela oder Mahatma Gandhi handeln soll. Auf Bollywood im Glitzerlook einigen sie sich. Vielschichtig ordnet Macras die turbulente Aktion, setzt Wort, Pantomime, Song, Tanz von Kathak bis Jazz ein, verteilt Seitenhiebe auf Gott und die Welt und tut das mit exzellenten Darstellern aus dem Township so ironisch und unterhaltsam, dass man die satten 110 Minuten Spieldauer kaum merkt und manches Klischee entschuldigt.
Aydin Tekers Laufsolo über Frauenangst will die politische Lage in der Türkei thematisieren, gerät aber zu schmalspurig; Alexandra Bachtzetsis‘ Trio »Private Song« hat dramaturgische Schwächen, imponiert vor allem durch Thibaut Lacs Gesang und Tanz. »17c« vom Big Dance Theater aus New York ist reines Sprechtheater - ein Fehlgriff bei »Tanz im August«.
Bis 2.9., Tickettelefon: (030) 25 90 04 27; www.tanzimaugust.de
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