Die falsche Rede vom Mord

Chemnitz: Selbst in antifaschistischen Äußerungen hat sich die AfD-Sprechweise eingeschlichen

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

In der Sprache, meinte der Germanist und Linguist Horst Dieter Schlosser in seinem 2013 erschienen Buch «Sprache unterm Hakenkreuz» mit Berufung auf Viktor Klemperer, der in «LTI - Notizbuch eines Philologen» bereits kurz nach 1945 die Sprache des «Dritten Reiches» entschlüsselt hatte, habe der Nationalsozialismus «mit einer »schrecklichen Einheitlichkeit« vom Denken und Empfinden der Menschen Besitz ergriffen. Bis heute, so Schlossers Fazit, ist die Alltagssprache wie die Sprache der Medien von sprachlichen Übersteigerungen und unsinnigen Komparativen wie »absolut« oder »total« geprägt. Dies geschieht, wie man hinzufügen muss, bei den Meisten, ohne dass sie sich der Wirkung und Bedeutung auch nur ein wenig bewusst sind.

Geschichte wiederholt sich nicht, sie verkleidet sich nur immer wieder in ein neues Gewand. In der Art und Weise, wie öffentlich auf den gewaltsamen Tod eines Chemnitzer Einwohners am Rande eines Stadtfestes vor eineinhalb Wochen reagiert wurde, zeigt sich erneut, wie die Sprache des neuen Rechtsextremismus vom Denken und Empfinden der Menschen Besitz ergriffen hat. Ein Mensch ist gestorben, zwei junge Männer, die aus Syrien und Irak stammen, sollen den Mann erstochen haben - die näheren Umstände sind nicht bekannt. Staatsanwaltschaft und Polizei ermitteln. Es wird irgendwann eine Anklage und einen Prozess geben; ein Urteil wird gesprochen werden und wir können irgendwann den Tathergang rekonstruieren und - hoffentlich - etwas über die Motive der Täter sagen.

In Chemnitz aber reden viele von einem Mord. Und es sind beileibe nicht nur Neonazis oder AfD-Politiker, die diese sprachliche Übersteigerung (die Unterscheidung zwischen Totschlag und Mord wurde von den Nationalsozialisten ins Strafgesetzbuch geschrieben und von der Bundesrepublik übernommen!) verwenden. Im Aufruf zum Rockkonzert gegen Rechts, das am Montag in Chemnitz in der Innenstadt unter dem Slogan »Wir sind mehr« organisiert wurde, heißt es beispielsweise, Ziel der Veranstalter und Künstler des Konzerts sei es, »unsere Abscheu darüber auszudrücken, dass Menschen so einen erbärmlichen Mord instrumentalisieren, um ihren Rassismus freien Lauf zu lassen«. Es gibt also in der Sprechweise selbst der Nazi-Gegner nicht nur einen Mord (ob es ihn gegeben hat, wissen wir, wie gesagt, noch gar nicht), sondern dieser Mord ist zudem noch »erbärmlich«. Die Frage sei gestattet: Gibt es auch Morde, die nicht erbärmlich sind, die erfreulich, anständig genannt werden können?

Aber nicht nur die Sprache derer, die sich gegen den neuen Faschismus (das Neue in ihm besteht in der Allianz zwischen den Rechtsnationalen von der AfD und dem bislang gesellschaftlich isolierten Neonazismus) positionieren wollen, dokumentiert, um mit Schlosser zu sprechen, wie sehr bereits die Sprache eben jenes neuen Faschismus vom Denken und Empfinden der Menschen Besitz ergriffen hat. Auch die Bilder und Sprechweisen, die von Chemnitz aus von der Politik versendet werden, spielen dem neuen Faschismus in die Hände. Am Wochenende war Bundesfamilienministerin Franziska Giffey in Chemnitz. Die SPD-Politikerin aus Berlin besuchte den Tatort, an dem ein junger Mensch gewaltsam zu Tode kam, legte Blumen nieder, ließ sich dabei filmen und fotografieren und meinte hernach: Die Proteste in der Stadt seien die »Quittung« für eine verfehlte Jugend- und Sozialpolitik. Mit »Protesten« meinte Giffey die gewaltsamen Ausschreitungen von Rechtsextremen unter passiver Teilnahme von Chemnitzer Bürgern der vergangenen Tage.

Es stimmt, in der Jugendpolitik liegt einiges im Argen, und das Problem unbegleiteter männlicher Geflüchteter, die aus Kriegsgebieten kommen, traumatisiert sind bzw. in von Gewalt geprägten, autoritären Gesellschaften aufwuchsen, wird uns noch lange beschäftigen. Dem neuen Faschismus aber wäre mittlerweile auch einer von einem jungen Muslim überfahrener Schäferhund Anlass für ein Pogrom.

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