Grenzen der Toleranz und Integration
Auch nach dem Majdan sind Roma in der Ukraine nur Bürger zweiter Klasse
Mittlerweile leben nach offiziellen Statistiken rund 48 000 Roma in der Ukraine, viele davon - etwa 14 000 - in Transkarpatien, der westlichsten Region des Landes. Die Polizei schätzt die tatsächliche Anzahl allerdings auf deutlich über 100 000. Die ersten Roma kamen im 15. Jahrhundert in das Gebiet der heutigen Ukraine. Ungeachtet der schwierigen Beziehungen mit der sowjetischen Führung ist ihre Zahl nach dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich gestiegen. »Trotzdem sind sie die am schlechtesten integrierte nationale Minderheit«, betont man im staatlichen Demografischen Institut in Kiew.
Offiziellen Einschätzungen zufolge können rund 75 Prozent der in der Ukraine lebenden Roma nicht schreiben. Etwa die Hälfte der Kinder aus Roma-Familien besucht nicht die Schule und nur geschätzte 30 Prozent erlangen einen Schulabschluss. Wichtige Gründe sind die katastrophale finanzielle Lage der meisten Familien sowie geringe Bildungskenntnisse der Eltern.
In einer Studie zu Toleranz in der ukrainischen Gesellschaft aus dem Jahr 2002 landeten die Roma auf dem letzten Platz unter den nationalen Minderheiten des Landes. »Der Durchschnittsukrainer kann die Roma als Touristen dulden, ist allerdings nicht bereit, sie als Teil der Gesellschaft und vollständige Staatsbürger wahrzunehmen«, so das Fazit der Studie. Die Roma würden demnach bei der Arbeit, in der Schule oder auch bei der medizinischen Versorgung tendenziell diskriminiert.
Ein beliebtes Thema im Zusammenhang mit Roma ist die Kriminalität. Zu den »üblichen« Diebstählen ist seit den 1990er Jahren angeblich auch verstärkter Drogenhandel hinzugekommen. Das Europäische Zentrum für die Rechte der Roma (ERRC) bestätigt reale Probleme der Roma in der Ukraine, verurteil jedoch die Pauschalisierung und Generalisierung der Roma-Kriminalität. Zusammen mit dem ukrainischen Nationalen Zentrum der Roma bereitet das ERRC derzeit eine gerichtliche Klage gegen die ukrainische Polizei vor, weil diese die aktuelle Situation nicht ernst genug nehme und nach den Angriffen von diesem Jahr nicht ausreichend ermittelt.
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