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Der mit den Beinen spricht
Emanuel Buchmann ist Deutschlands größte Rundfahrthoffnung im Radsport. Bei der Vuelta darf er erstmals Kapitän seines Teams sein
Das Reden ist nicht die größte Gabe des 25-jährigen Ravensburgers. Das merkte man schon am Tage seines verblüffenden Durchbruchs in der deutschen Profiszene. Im Juni 2015 gewann er so überraschend wie letztlich verdient den Deutschen Meistertitel. Da war er 22 Jahre jung und in seiner ersten Profisaison. Bei dem Rundkurs in Bensheim hatten sich Sprinter wie André Greipel und John Degenkolb Chancen ausgerechnet. Buchmanns Bora-Team attackierte aber permanent. Und hatte in der Schlussrunde ausgerechnet in seinem Jüngsten den Stärksten. Der setzte sich noch einmal ab und konnte sich das Meistertrikot überstreifen. Im Ziel kommentierte er dann sehr schüchtern seine Leistung. »Ich denke, die Umsetzung unserer Taktik ist uns ganz gut gelungen«, meinte er brav, bevor nach ein paar Nachfragen doch noch der Stolz aus ihm herausbrach: »Ich war richtig stark, unverdient war der Sieg nicht.«
Das war es dann aber auch schon an großen Worten. Bei der folgenden Tour de France ließ Buchmann die Herzen deutscher Radsportfans noch mal höher schlagen. Auf der Etappe zum Col du Tourmalet hielt er lange mit den Besten mit, wurde am Ende Etappendritter hinter seinem aktuellen Teamgefährten Rafal Majka. Ein deutsches Meistertrikot mit vorn auf den meist gefürchteten Pyrenäengipfeln - das hatte es bei einer Tour de France seit den Zeiten von Jan Ullrich (Meister 1997 und 2001) und Andreas Klöden (2004) nicht mehr gegeben. Die beiden gefallenen Altstars fuhren in ihren Meistertrikots bis aufs Podium in Paris, Ullrich gewann 1997 sogar die Tour.
Buchmann war zwar weit entfernt von solchen Parforce-Ritten. Sein dritter Etappenplatz resultierte auch nur aus einer Fluchtgruppe. Dennoch: Ein deutscher Meister vorn dabei, das entfachte Hoffnungen. Zumal Buchmann an diesem Tag auch Beißerqualitäten offenbarte. Bei der Abfahrt plagten ihn Krämpfe. Mit dem angepeilten Tagessieg wurde es deshalb nichts. Aber der junge Fahrer, damals Viertjüngster im ganzen Feld, ließ sich nicht entmutigen und holte noch den dritten Platz. Ein paar Minuten vor einem gewissen Chris Froome übrigens. Buchmann, im Ziel umringt von Reportern wie noch nie zuvor in seiner Karriere, sagte damals knapp: »Ich bin einfach die Berge in meinem Rhythmus hochgefahren, das hat richtig gut geklappt - nur auf der Abfahrt vom Tourmalet hatte ich Krämpfe.«
Kurze Sätze, knappe Aussagen - das ist die Welt des Sohns eines Schreiners aus Vogt bei Ravensburg. Vater Manfred, der, so besagen es die Geschichten des Ortes, beim jungen Emanuel mit Tempoverschärfungen an den heimatlichen Bergen die Lust am Pedal betriebenen Klettern weckte, wirbt auf der Homepage seiner Firma mit dem philosophischen Spruch: »Betten machen dauert bei uns leider etwas länger als im Märchen. Und anders als bei Frau Holle fallen bei uns auch keine Schneeflocken, sondern nur die beim Hobeln sprichwörtlichen Späne.«
Das deutet auf Erdverbundenheit, auf pragmatischen Realismus und auch auf eine Prise skurrilen Humors hin. Buchmann junior scheint davon geprägt - von den Spänen, die manchmal wie Flocken wirken können, aber dennoch Späne bleiben. Im Laufe der Jahre hat er trotz stetig wachsenden Leistungsvermögens an Gesprächsfreude nicht hörbar zugelegt. Immerhin ist erkennbar, wie sich manchmal ein kleines schalkhaftes Lächeln auf seine Züge legt, wenn er im Ziel die Journalisten nahen sieht. Dann gewinnt man den Eindruck, hier überlegt einer, wie er das drohende Frage-Antwort-Spiel so knapp wie möglich absolvieren, seine Worte dabei aber wenigstens noch so variieren kann, dass das gleich Gesagte immer ein wenig anders klingt und er dabei nicht unhöflich wirkt.
Buchmann bleibt stoisch, ist in seiner Ruhe auch für seine engeren Begleiter nicht immer durchschaubar. Was vielleicht auch daran liegt, dass er kein ganz typisches Radsportkind war. Der Mann vom Bodensee war keiner, der in seinen Altersklassen viele Rennen gewann. Er sei bis in die Jugendklassen froh gewesen, wenn er überhaupt mal mit den Altersgenossen im Hauptfeld ins Ziel gekommen und nicht abgehängt worden sei, erzählte er einst dem Magazin »Tour«.
Und sein Trainer Tobias Hübner - er entdeckte den damals 13-Jährigen - macht auf einen Umstand aufmerksam, der vielleicht den Mangel an Rundfahrttalenten in Deutschland erklärt: »Die Berg- und Rundfahrer erkennt man nicht im Kindesalter. Dazu gehören Fleiß, Konsequenz, mentale Stärke.« Durchhaltevermögen also, die Selbstmotivation, auch bei Krämpfen nicht nachzulassen, auch dann nicht, wenn ein, zwei andere schon davon fahren.
Beharrlich hat sich Buchmann sein jetziges Niveau erarbeitet. Ihm mag geholfen haben, dass er sich immer wieder durchbeißen musste. 2014 wäre seine Radsportkarriere beinahe schon vorbei gewesen. Er hatte keinen Vertrag, immerhin aber einen Studienplatz für Maschinenbau im nahen Konstanz. Enrico Poitschke, heute sportlicher Leiter bei Bora hansgrohe, gab dem Talent noch eine Chance. Bei der Tour de l’Avenir, dem wichtigsten Nachwuchsrennen, wurde Buchmann Siebter, zeigte unter Druck, dass er Leistungen bringen kann - und verdiente sich so seinen ersten Profivertrag.
In diesem Herbst möchte der verhinderte Maschinenbauer endlich die Ernte einfahren. Seit seinem Durchbruch 2015 hat er sich stetig verbessert. Er holte Top-10-Platzierungen beim Tourvorbereitungsrennen Dauphiné, kam bei der Tour de France 2017 auf einem guten 15. Gesamtplatz in Paris an. Da schlüpfte er nach dem Ausscheiden seines damaligen Kapitäns Rafal Majka - immerhin zweifacher Bergkönig der Tour - kurzfristig in die Kapitänsrolle.
Jetzt fährt Majka für ihn, beschützt den jungen Kapitän. Und auch Weltmeister Peter Sagan stellt sich in den Dienst Buchmanns, wenn er nicht gerade eine Flachetappe zu gewinnen hat. Eine ganz neue Rolle für den jungen Deutschen, die er aber gewohnt stoisch annimmt.
Sportlich hat er an Beschleunigungsfähigkeit in den Bergen zugelegt. Buchmann kann jetzt nicht mehr nur wie noch in den Vorjahren ein gutes eigenes Tempo fahren. Er kann jetzt auch bei wilden Tempobeschleunigungen der Kontrahenten lange am Hinterrad dranbleiben. Wie gut, das werden die kommenden acht Etappen der Spanienrundfahrt zeigen, vier sind davon Bergetappen, dazu kommt ein Einzelzeitfahren.
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