Eine Reise durch die Begriffswelt
Bei »nd im Club« hat Friedrich Dieckmann sein Buch »Weltverwunderung« präsentiert
Friedrich Dieckmanns Buch ist eine Sammlung von kurzen Texten, die sich mit verschiedenen Begriffen - von Freiheit und Heimat bis hin zu Lachen und Rausch - beschäftigen. Das sei ein vages Genre, meinte Dieckmann am vergangenen Mittwoch, als er bei »nd im Club« zu Gast war. Anlässlich der Lesung aus seiner »Weltverwunderung - Nachdenken über Hauptwörter« kam er mit dem Moderator Paul Werner Wagner ins Gespräch. Neben dem Vorlesen einiger Passagen des Buches wurde auch über die Entstehungsgeschichte und die Intention dieses Werkes gesprochen. Dieckmann ist im Jahr 1937 in Dresden geboren. Er hat Germanistik, Philosophie und Physik studiert und lebt seit dem Jahr 1963 als freier Schriftsteller in Berlin.
Die Sprache des Buches ist philosophisch geprägt. Die Passagen sind reich an Anekdoten und Zitaten, die für eine angenehme Lektüre sorgen.
Dabei erlebt man die großen Namen der Geschichte teilweise anders als gewöhnt. Etwa bekommen wir mit, dass niemand produktiver als Richard Wagner erfahren habe, wie intelligent und einfühlsam Papageien sein könnten. Oder dass Arthur Schopenhauer sagte: »Wenn es keine Hunde gäbe, wollte ich nicht leben«.
Die Herangehensweise, wie der Autor sich mit jedem Begriff auseinandersetzt, ist kreativ. Es wird beispielsweise anhand der bildenden Künste von »epochalen Freundschaften« gesprochen. »Eines Tages standen beide, Goethe und Schiller, in Bronze gegossen überlebensgroß vor dem Weimarer Theater ...«. Der Künstler sei beauftragt worden, die beiden lebensgroß zu schaffen. Dieckmann: »Ein Kunststück, das er meisterte, ohne in Gleichmacherei zu verfallen. Gegenüber einem andern Freundespaar von welthistorischer Ausstrahlung entzog sich in Berlin-Mitte der Bildhauer dem Größenproblem, indem er den einen - Marx - auf eine Bank setzte und den andern - Engels - stehend neben und zugleich hinter ihn platzierte.«
In dieser Hinsicht wird die Freundschaft zwischen beiden interpretiert. Der eine werde vom andern als dominierend anerkannt und geduldet, »dieser andere ist der liebende Teil von beiden.«
Jede Passage in Dieckmanns Werk wirkt wie eine vielfältige Reise durch die Begriffswelt. So bewegt man sich stets zwischen den philosophischen, alltäglichen oder politischen Räumen. Nehmen wir das Kapitel über den Rausch als Beispiel, wo wir mit Nietzsche und Schopenhauer beginnen, das Wort zu verstehen. Und fast am Ende landen wir in einem Militärhospital in Marokko! Wie das geschieht, hat mit den Feinheiten dieses Buches zu tun.
Durch Nietzsche werden verschiedene Arten des Rausches vorgestellt. Sie reichen vom Frühlingsrausch bis hin zum Rausch des Festes, des Sieges und nicht zuletzt zu dem des Willens, wobei der Autor darauf hinweist, das Deutsche kenne keinen Frühlingsrausch, aber den Glücks- und den Siegesrausch. Nietzsches »Rausch der Grausamkeit« bringt Dieckmann dann mit dem Blutrausch zusammen. Krieg, Amoklauf und »der ganze Hitlerismus« werden dadurch erklärt. »Die todesverachtende Lust am Extremen« leitet uns dann in die Richtung Unterhaltungsindustrie: zum Geschwindigkeitsrausch, dem Base-Jumping und Bungee-Jumping.
Später und wieder dank Nietzsches »Narkotika« kommen wir zu dem Wort Rauschgift. Ab hier übernimmt Baudelaires als »der Klassiker der Haschisch-Literatur«. Anschließend wird noch Walter Benjamins euphorische Erfahrung mit Haschisch mitgeteilt, begleitet mit einem Zitat von ihm: »Versailles ist dem, der Haschisch gegessen hat, nicht zu groß, und die Ewigkeit dauert ihm nicht zu lange.«
Demgegenüber erfahren wir über das Erlebnis von Klaus und Erika Mann in der marokkanischen Stadt Fez, wo ein paar Teelöffel mehr vom Pulver sie zu einem »schizophrenen Chaos« brachte: »Die beiden wurden von einem Taxi ins Militärhospital gebracht und dort mit einem Schlafmittel von ihrem Haschisch-Choc kuriert.« Diese Passage heißt übrigens: »Auf die Dosis kommt es an.«
Friedrich Dieckmann: Weltverwunderung - Nachdenken über Hauptwörter. Quintus Verlag, 184 Seiten, 18 Euro.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.