Das Unbewusste bewusst machen

Porträtköpfe von Ronald Paris und Medaillen sowie Büsten von Anna Franziska Schwarzbach im stilwerk Berlin

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.

Köpfe, gezeichnet, gemalt, in Bronze gegossen oder in andere Materialien übertragen, enthalten eine besondere physiognomische und psychische Suggestion, sie existieren an der fließenden Grenze von Erstarrung und sprechender Lebendigkeit, in der Plastik auch von Tektonischem und Dynamischem, von Senken und Buchten, Drehung und Abbruch der Drehung.

Was ist bei einem Porträt zu beachten, fragt der Zeichnet und Maler Ronald Paris, der im August 85 geworden ist. »In eine psychologische Tiefe vorzustoßen, von der vielleicht der Porträtierte selbst nichts weiß oder noch nicht mal etwas ahnt«, das »nicht Sichtbare sichtbar zu machen, das Unbewusste bewusst werden zu lassen«.

Meist hat er ohne Auftrag gemalt und dabei sind eben auch zahlreiche Zeichnungen entstanden, die jetzt erstmals in einem größeren Komplex präsentiert werden. Die erste Idee bei dem Komponisten Hanns Eisler war ein Brustbild mit gesenktem Kopf, der Blick ruht auf den Noten, während die Hände zu dirigieren scheinen. Dann entschied sich Paris für ein Kniestück, wohl um der Gestalt eine stärkere körperliche Präsenz zu verleihen (Hanns Eisler, 1962, Graphit).

Den Dramatiker Heiner Müller wollte der Künstler einmal als einen - wie er sagt - »an der Lüge leidenden Skeptiker« und später als einen »überlegenen« Geist verstanden wissen, »der jeden feigen Opportunismus belächelt« (Heiner Müller, 1988, Graphit). Ernst Busch, den Spanienkämpfer, den großen Schauspieler, den legendären Volkssänger - wie sollte man ihn darstellen? Paris malte ihn so, wie er vor ihm saß in den wenigen Sitzungen, auf die Busch sich damals einließ. Die Version, die Paris auf der VII. Kunstausstellung der DDR 1972 in Dresden zeigte, löste Empörung, aber auch Zuspruch aus. Der gealterte, körperlich hinfällige Mann, in seinem privaten Ambiente, neben sich ein Flaschen- und Gläserstillleben, aber im argumentierenden Gespräch, die eine Hand überlegend zum Kopf erhoben, die andere Hand - eisend, überzeugen wollend - vor sich haltend. Das Bild verschwand spurlos, auch Busch selbst hatte dagegen protestiert, und Paris schuf 2006 dann eine dritte Fassung.

Als »ein Wissender in Zeiten der Bedrängnis« hat der Künstler den reglementierten Philosophieprofessor Wolfgang Heise gezeichnet, der verzweifelt in jene Leere blickt, die verlorene Illusionen hinterlassen haben (Prof. Wolfgang Heise, 1966, Graphit). Paris’ Lehrer Otto Nagel, dessen Leitspruch: »Beim Zeichnen sieht man« lautete, sitzt mit kritischem Auge vor seiner Bilderwand (Otto Nagel, 1964, Graphit), während die Schauspielerin Inge Keller den Betrachter fest in den Blick genommen zu haben scheint und doch durch ihn hindurch in die unendliche Weite schaut (Inge Keller, 2009, Kohle). Ihr Blick wirkt unendlich fern, in sich gekehrt und unerreichbar.

Auch Anna Franziska Schwarzbach will mit ihren Bildnis-Plastiken und -Medaillen keine repräsentativen Denkmäler geben, wir sollen mit ihnen in einen geistigen Dialog eintreten, in ihren Gesichtszügen forschen, ihr Wesen ergründen, nach Entsprechungen dessen suchen, was den Porträtierten eingegeben, was verdeckt angelegt und was von ihnen sichtbar geworden ist. Sie gestaltet ihre Bildnisse als eine geknetete Gesichtslandschaft auf knappem Halsabschnitt, die die Physiognomie ausdrucksstark wiedergibt. Und doch ist deren Lebendigkeit nicht so sehr im Physiognomischen zu suchen, sondern im besonderen Zusammenwirken von Haltung, Gestus, Rhythmus und Volumina.

Sie relativiert die anatomische Korrektheit und gibt der Gesichtsfläche ihre unauslöschlichen Lebens- und Schicksalsspuren. Verschiedenartige Torsierungen des Halsbereiches, auch Neuformulierungen des Schulterstücks sind zu beobachten. Im Rudimentär-Körperlichen werden Haltungen fixiert, die Autonomie des plastischen Gefüges bestimmt. Man muss dem Porträt das geleistete Werk glauben. Gelingt das nicht, ist es verloren - so hat es der Bildhauer Wieland Förster einmal formuliert. Schwarzbachs Porträts sind aus dem Gefühl einer inneren Verwandtschaft in der künstlerischen Haltung und im unbeirrbaren Eintreten für eine selbstbestimmte Existenz entstanden.

»Dramatischer Kopf« (1986, Bronze) reduziert die plastische Körperlichkeit zum Fragment, zur versehrten, verzehrten, gebrochenen, in Auflösung begriffenen Form. Das gestattet der Bildhauerin, in Kürzeln zu reden anstatt Sätze niederzuschreiben. Sie vermag aber auch die taktilen und visuellen Reize des Eisens zu mobilisieren, macht Widerstand wie Elastizität sichtbar, produziert harte Übergänge von aufgerissenen zu geglätteten, von rauen zu polierten Stellen.

Die Plastik überträgt ihre Materialdramatik auf den Betrachter. Eine besondere Ausstrahlung hat die aus allen möglichen Feuerutensilien gefertigte Porträtbüste einer »Unbekannten Prominenten« (2010, Eisen). Durch das Spiel von Fläche und Ausschnitt, Silhouette und Licht bringt das graue und körnige Gusseisen eine unverwechselbare Figurencharakteristik hervor. Im Blick der Porträtierten wird die Gefährdung des Leibes zunichte und verdichtet sich die physische Kraft zu leben.

Köpfe. Ronald Paris: Zeichnungen; Anna Franziska Schwarzbach: Plastiken und Medaillen. Kunsthandel Dr. Wilfried Karger, im stilwerk Berlin, Kantstr. 17, Die - Fr 14-19 Uhr, Sa 10-19 Uhr, bis 22. September. Faltblatt.

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