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Film »Des Teufels Bad«: Herrschaft der hässlichen Dreifaltigkeit
»Des Teufels Bad« erzählt die Geschichte vom frühneuzeitlichen Umgang mit Depressionen
Die frühe Neuzeit steckt voller seltsamer, skurriler bis abscheulicher Traditionen und Glaubensgrundsätze. Das schreibt sich natürlich so leicht aus der erleuchteten, aufgeklärten, warmen Stube der Postmoderne. Der schockierte Blick zurück ist wohl immer auch die Angst vor der eigenen Primitivität. Und so ist »Des Teufels Bad«, der neue Film der Horror-Experten Veronika Franz und Severin Fiala (»Ich seh Ich seh«, »The Lodge«) eine düstere, grausige und zuweilen blutige Rückschau auf uns selbst.
Im Oberösterreich des 18. Jahrhunderts sind die Lebensumstände karg, die Behausungen dunkel und feucht, das Leben allgemein wenig bedürfnisorientiert, eher brutal. Die Menschen waten durch den Schlamm des örtlichen Karpfenteichs, um Fische aus dem Wasser zu wuchten und zu verkaufen. Das Wasser ist umringt von tiefem, dunklem Wald. Alles in diesem Leben fühlt sich erdrückend und kalt an. Die harte Arbeit wird nur kurz unterbrochen, wenn die Glocken des Kirchturms läuten, um sich zu bekreuzigen. Am längsten von allen betet Agnes (Anja Plaschg, eigentlich eine fantastische Musikerin mit dem Künstlernamen Soap&Skin, im Film eine hochsensible, träumerische und tief religiöse Bauersfrau), die in die Familie von Wolf Lizlfellner (David Scheid, eigentlich österreichischer Komiker, hier wortkarges Familienoberhaupt unter der Fuchtel seiner Mutter) eingeheiratet wurde.
Agnes wünscht sich, weil es die Außenwelt so will, sehr dringend ein Kind, das ihr Wolf, der eigentlich eher Männern zugeneigt ist, was nur zart angedeutet wird, nicht schenken kann. Weil ihr Kinderwunsch unerfüllt bleibt, aber auch, weil ihr die neue Familie mit der übergriffigen Schwiegermutter (Maria Hofstätter, wie immer grandios in ihrer menschlichen Härte) jede Luft zum Atmen nimmt, zieht sich Agnes mehr und mehr in sich selbst zurück. Sammelt sie anfangs noch die schön schillernden Schuppen der Fische am See auf, um ein bisschen Freude zu empfinden, schafft Agnes es im Laufe des Films kaum mehr aus dem Bett.
Im Mittelalter hatte der Volksmund eine passende Metapher für melancholische Menschen: Sie waren im Bad des Teufels gefangen. Man gerät automatisch ins Nachdenken darüber, dass sich bis heute in unserer so aufgeklärten Welt am Umgang mit dem Thema Depressionen nicht viel verändert hat, nur, dass der Teufel jetzt einen Namen hat, aber vom Kapitalismus trotzdem keiner spricht, wenn es darum geht, dass es nicht jedem gelingt, gut abgerichtet zu funktionieren. Wenn der Vorgriff erlaubt ist: Ein Satz aus Agnes’ erschütterndem Schlussmonolog hallt lange nach: »Ich wollte einfach weg aus der Welt.«
»Des Teufels Bad« setzt mit Agnes’ Schicksal ein bisher kaum beachtetes, grausiges Schlaglicht auf einen Teil europäischer Frauengeschichte.
»Des Teufels Bad« setzt mit Agnes’ Schicksal und dem der anderen Frauen, das im Film kurz angerissen wird, ein bisher kaum beachtetes, grausiges Schlaglicht auf einen Teil europäischer Frauengeschichte. Bekannt ist, dass Selbstmord in der katholischen Kirche im Mittelalter (und weit darüber hinaus), mit dem Bruch des fünften Gebotes (Du sollst nicht töten) einherging und gesellschaftlich geächtet war. Gottes Schicksal entzieht man sich nicht so einfach. Die toten Körper durften nicht im geweihten Boden beerdigt werden, wurden öffentlich vorgeführt und ausgepeitscht oder aufgehängt. Man nahm den Hinterbliebenen jeglichen Besitz, um ihre öffentliche Schande noch zu verstärken.
Mit all diesem Wissen schien es für Frauen, die ja aus patriarchaler Tradition allein mit der Kindererziehung beschäftigt waren, nur einen Ausweg zu geben, der grotesk wie grausam anmutet, aber zeigt, wie sich Verzweiflung ihren Weg nach außen sucht: Indem sie ihr eigenes oder ein fremdes Kind töteten, war es möglich, vor der Hinrichtung noch die Beichte abzulegen und von allen Sünden freigesprochen zu werden. Denn das war Mördern noch erlaubt. Allein im deutschsprachigen Raum sind über 400 solcher mittelbaren Selbstmorde bekannt. »Die Opfer waren meist Kinder, da man davon ausging, dass diese sich noch in einem Zustand der Unschuld befinden. Man könnte dem Kind damit womöglich sogar einen Gefallen tun, weil es noch sündenlos in den Himmel kommt«, schreibt die Mittelalter-Historikerin Kathy Stuart von der Universität UC Davis in Kalifornien, weltweit führende Expertin auf diesem Gebiet, im Presseheft zu »Des Teufels Bad«. Dank Stuarts Forschung, von der sie in einem Podcast hörten, seien Fiala und Franz auf den Stoff für den Film aufmerksam geworden. »Des Teufels Bad« basiert größtenteils auf überlieferten Gerichtsakten. So ist der Fall der Österreicherin Ewa Lizlfellner, die sich in einer unglücklichen Ehe gefangen sah, die Grundlage für den Charakter der Agnes. »Seht, was der Satan kann … Ich folgte ihm sogleich und thate also fort, was ich mit eh und ach an jetzto stets bereue, mit Bitte, dass mir Gott die große Sünde verzeyhe«, soll Lifzlfellner vor Gericht gesagt haben.
Der Film, der Österreichs Wahl für den Auslands-Oscar ist, übersetzt die Seelenqual und die Ausweglosigkeit, die Agnes empfindet, in brutale und düstere Bilder eines armen bäuerlichen Lebens im ausgehenden 18. Jahrhundert. Zu Beginn wird Agnes zum Abschied noch von ihrer Mutter umarmt. Bevor sie sie in die Ehe mit Wolf entlässt, sagt sie ihr noch: »Ich hab dich lieb, mein Kind«, und man hat eine ungefähre Vorstellung davon, wie hart der Übergang in die neue Welt voller Arbeit und emotionaler Kälte für Agnes wird. Jeden Tag schippt sie die Fischkadaver aus dem Wasser, verteilt nach der Arbeit Brot an die Helfer (unter den strengen Augen der Schwiegermutter bekommen diejenigen nichts ab, die ihrer Morallehre nicht entsprechen), wird zurechtgewiesen, wenn sie in der Küche nicht die richtige – die schwiegermütterliche – Ordnung hält und beginnt, sich aus Gefühlsarmut selbst zu verletzen, will sich dann mit Rattengift töten, was scheitert.
Kameramann Martin Gschlacht gewann auf der diesjährigen Berlinale den Silbernen Bären für seine Arbeit. Es sind seine düsteren Bilder, die qualvoll und viel zu lange hinsehen und dadurch ihre Grausamkeit entfalten. Und so hangelt man sich von einem Schmerz zum nächsten, wünscht sich, dass doch wenigstens einmal in den zwei Stunden die Sonne scheinen mag und denkt, dass es nun viel schlimmer gar nicht mehr kommen kann, bis man sich die Erlösung für Agnes fast schon herbeisehnt und empfindet, was Ewa Lizlfellner empfunden haben muss.
»Des Teufels Bad« fühlt sich streckenweise an wie eine sehr lange Fahrt in der Geisterbahn, so weit weg scheinen Rituale, Lebensgewohnheiten und religiöser Eifer. Weil einem aber auch nach Wochen manche Bilder wieder in den Kopf kommen, schleicht sich ein viel unheimlicheres Gefühl ein: Hier geht es nicht um eine längst vergangene, unaufgeklärte Zeit, es geht um die noch lange nicht überwundene Herrschaft der hässlichen Dreifaltigkeit: Kinder, Kirche, Küche.
»Des Teufels Bad«, Österreich 2024. Regie: Veronika Franz und Severin Fiala. Mit: Anja Plaschg, Maria Hofstätter, David Scheid. 121 Minuten. Start: 14.11.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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