In Tokio fehlt der Fels
Alex Megos zeigt bei der WM, dass er zu den besten Kletterern der Welt gehört. Das überzeugt ihn aber noch nicht davon, auch bei der Olympiapremiere zu starten
Nach seinem bronzenen WM-Coup stand Alexander Megos etwas bedröppelt vor dem jubelnden Publikum. Der Kletterer aus Erlangen winkte kurz, schlenderte in Flipflops zum Podium, lächelte verlegen. Der 25-Jährige hatte die erste deutsche Männermedaille in der Königsdisziplin Lead seit 1993 geholt, der Erfolg sorgt im Deutschen Alpenverein (DAV) für glänzende Augen im Hinblick auf Olympia. Ist Megos nun Mitfavorit auf eine Medaille 2020 in Tokio? Das ist die falsche Frage. Die richtige wäre viel eher: Will Megos überhaupt zu Olympia?
Die Szene blickt der Premiere der Kletterer bei Sommerspielen mit unterschiedlichen Gefühlen entgegen. Die Wettkämpfer sehnen den Vergleich auf der schillerndsten Sportbühne herbei, Traditionalisten fürchten um den Charme ihres so unabhängigen Sports. Irgendwo zwischen den beiden Extremen steht Alex Megos und sagt über seine Olympiapläne: »Ich habe mich noch nicht vollends entschieden.«
Dass er in Tirol den größten Erfolg deutscher Männer seit WM-Silber von Kletterikone Stefan Glowacz vor 25 Jahren feierte, überzeugte ihn selbst noch nicht. Vor allem, weil Megos’ Leidenschaft nicht der Wettkampf an den im Wettkampfsport üblichen künstlichen Anlagen ist, sondern der natürliche Fels. Dort ist er einer der stärksten Athleten der Welt, neben dem tschechischen WM-Zweiten Adam Ondra wohl der beste überhaupt. 2013 bewältigte er als erster Kletterer weltweit eine Route der Schwierigkeitsklasse 9a im Onsight-Stil, das heißt im ersten Versuch, ohne sich vorher den Felsen im Detail oder einen anderen Kletterer angesehen zu haben. In der Szene wurde er berühmt, Sponsoren kamen auf ihn zu und ermöglichten ihm, vom Klettern zu leben. Er reiste um die Welt, immer auf der Suche nach der nächsten Herausforderung am Fels.
Erst 2017 kehrte der Blondschopf nach mehreren Jahren Pause zum Wettkampfklettern zurück, in dieser Saison überzeugte er mit dem Sieg beim Weltcup in Briançon und nun der Medaille bei der WM. Zwischen den Wettbewerben lässt sich Megos, bekannt für sein lässiges und meist unbeschwertes Auftreten, kurze Ausflüge an Felsen aber nicht nehmen.
Die Sommerspiele hat er im Blick - aber eben nicht ausschließlich. »Auf Olympia zu setzen, bedeutet, dass sämtliche Projekte am Fels vermutlich erst mal zurückgestellt werden müssen«, sagt er. »Das ist eine Entscheidung, die überstürzt man nicht.« Gegen Ende des Jahres will Megos den endgültigen Entschluss fassen. Bundestrainer Urs Stöcker hofft natürlich auf ein Votum für Olympia. Nach dem Erfolg am Sonntagabend in Innsbruck lobte der Schweizer die »außerordentliche« Vorstellung seines Schützlings: »Die Medaille ist ein Schritt in die Zukunft und zeigt ganz klar das Potenzial.«
Lediglich jeweils 20 Starter bei Männern und Frauen sind während der Premierenspiele in Japan vorgesehen. Und es ist bei weitem nicht so, dass die besten Athleten im Lead, also dem Schwierigkeits- und Ausdauerklettern mit Seil, automatisch die Favoriten auf Olympiamedaillen sind. In Tokio wird nämlich nur im sogenannten Olympic-Combined-Format geklettert, einem Dreikampf aus Lead, Bouldern und Speed-Klettern. In der extra für Olympia geschaffenen Wertung werden auch bei der WM in Innsbruck erstmals Medaillen vergeben. Megos, Ondra und Lead-Weltmeister Jakob Schubert aus Österreich sind Mitfavoriten am Sonntag.
Gerade das Kombinationsformat aber sorgt für Unmut und könnte Megos dazu bewegen, auf Tokio zu verzichten. »Es kann passieren, dass bei Olympia Athleten dabei sind, die mittelmäßig in allen Disziplinen sind, die Top-Athleten aus den jeweiligen Disziplinen aber fehlen«, befürchtet er. Ist ein Sportler etwa Weltklasse in Lead und Bouldern, aber chancenlos im Speed, könnte ihn das schon um die Podestchancen bringen. Es ist in etwa so, als würde der schnellste Läufer der Welt in einem Kombi-Dreikampf aus 100, 400 und 1500 Metern ermittelt. Auf einen Usain Bolt müsste so ein Wettkampf dann wahrscheinlich verzichten.
Die anfängliche Empörung über das Format hat sich inzwischen zwar gelegt, und viele Spitzenkletterer werden versuchen, in Tokio dabei zu sein, meinte Megos. »Die meisten haben gesehen, dass es eine Chance darstellt, den Sport einem größeren Publikum zu präsentieren. Die Chance darf man nicht vernachlässigen«, sagt er. Ob das auch für ihn selbst gilt, ist noch nicht abzusehen. dpa/nd
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