Früh im Geheimdienstspeicher

Auch im Nordosten darf der Verfassungsschutz künftig 14-Jährige datenmäßig erfassen

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Wo sollte die Nagelbombe explodieren? In einem Bus, einer Kirche? Der zwölfjährige Junge, der im Winter 2016 solche Gedanken wälzte, entschied sich schließlich für den Weihnachtsmarkt in Ludwigshafen, stellte seinen selbst gebastelten Sprengkörper dort ab. Explosionsfähig war er durchaus, doch es kam nicht zur Detonation. An dieses Tun eines Kindes, dem Fachleute eine »starke religiöse Radikalisierung« attestierten, erinnerte Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) jetzt im Schweriner Landtag.

Vor dem Hintergrund eines solch spektakulären Einzelfalls lässt sich halt gut plädieren für das Herabsetzen der Altersgrenze, ab der junge Menschen in der Datenbank des Verfassungsschutzes landen können.

Bereits 14-Jährige soll der Inlandsgeheimdienst fortan ins Visier nehmen dürfen, wozu auch das Speichern ihrer persönlichen Daten gehört. Das hat die Landtagsmehrheit jetzt auf Antrag der SPD/CDU-Koalition beschlossen und den Nordosten damit den Regeln des Bundesamtes und der anderen Landesämter für Verfassungsschutz angepasst. Sie alle haben die 14-Jahres-Grenze - mit einer Ausnahme: Bayerns Nachrichtendienstler sind beim Speichern an kein Alterslimit gebunden.

Der Innenminister in Schwerin begrüßt die Entscheidung des Parlaments. Werden doch junge Menschen, wie er mahnte, nicht selten schon in sehr frühem Alter durch islamistische und salafistische Kreise radikalisiert. Es sei zu hoffen, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen »wieder zur Besinnung kommen« und nicht »zu Tätern von Morgen« werden.

»Auch in Mecklenburg-Vorpommern gibt es Fälle früher Islamisierung«, sagte der Minister. Sofern es in dieser Richtung Auffälligkeiten in Kindertagesstätten oder Schulen gebe, sei es ratsam, wenn sich die Erzieher oder Lehrkräfte an die Sicherheitsbehörden wenden, empfahl Caffier. Er sieht im Verfassungsschutz ein geeignetes Instrument, radikal indoktrinierte Jugendliche »wieder auf den rechten Weg« zu führen und denjenigen zu wehren, die es verstehen, die Manipulierbarkeit sehr junger Menschen auszunutzen.

Keineswegs liege das Problem der Radikalisierung junger Menschen beim Verfassungsschutz in den richtigen Händen, hielt die jugendpolitische Sprecherin der LINKEN im Landtag, Jacqueline Behrendt, dem Innenminister und den Verfechtern des SPD/CDU-Antrags entgegen. Die Große Koalition blende die eigentlichen Probleme vieler Jugendlicher aus und gebe die Verantwortung dafür an den Inlandsgeheimdienst ab, statt sich selbst mit den Sorgen der jungen Menschen auseinanderzusetzen, monierte die Politikerin und betonte: Die Jugendhilfe des Staates sei gefragt, denn ihre Sache sei das an oberster Stelle stehende Kindeswohl. Aber es sei keine Angelegenheit für den Verfassungsschutz.

Wenn Heranwachsende problematische Entwicklungstendenzen aufweisen, sei präventive Kinder- und Jugendarbeit angesagt, statt diese jungen Menschen »in geheimen Dateien des Verfassungsschutzes ein Leben lang zu stigmatisieren«, so Bernhardt. Es sei bezeichnend, kommentierte die Abgeordnete die Entscheidung der Landtagsmehrheit, »dass sich die SPD hierbei zum Vorreiter macht und ihr sozialpolitisches Gewissen dafür an der Sicherheitspforte abgegeben hat«. DIE LINKE stimmte als einzige Fraktion gegen die Herabsetzung des »Speicheralters«.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -