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  • Proteste gegen Abschottung

Mit oder ohne Seehofer

In Frankfurt am Main demonstrieren tausende Menschen gegen die deutsche Abschottungspolitik – und für sichere Hafenstädte

  • Timo Reuter, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ging auch ohne Horst Seehofer. Am Montagabend protestierten in Frankfurt bis zu 8.000 Menschen für sichere Fluchtwege und gegen die vom Bundesinnenminister betriebene Kriminalisierung der Seenotrettung. Ursprünglich wollte der umstrittene CSU-Politiker am Dienstag in der Frankfurter Paulskirche eine Rede zur Stadtentwicklungspolitik halten. Doch Seehofer, im Nebenberuf auch Bauminister, sagte kurzfristig ab – »aus terminlichen Gründen«, wie das Bundesinnenministerium dem »nd« mitteilte. Hintergrund dürften weniger die Proteste als das Treffen der Koalitionsspitzen am Dienstag zur Zukunft des Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen sein.

Den Frankfurter*innen war das egal. Bereits am Samstag besetzten Attac-Aktivisten die symbolträchtige Paulskirche, wo 1848 das erste frei gewählte deutsche Parlament tagte. Sie wollten damit einen öffentlichen Diskurs über Demokratie und Finanzkrise anstoßen. Die Besetzer verließen am Sonntag freiwillig die Paulskirche. Dort ging es dann am Montag weiter: Tausende kamen am frühen Abend vor der inzwischen von Polizisten abgeriegelten Kirche zu einem bunten Protest zusammen. »Die menschenfeindliche Abschottungspolitik der Bundesregierung, die Abschiebungen nach Afghanistan, der Rechtsruck – die Gründe für unsere Demo sind ja nicht verschwunden«, erklärte Bernd Eichner, Sprecher der Frankfurter »Seebrücke«.

Das Bündnis, das von Dutzenden Organisationen, Gewerkschaften und Politiker*innen unterstützt wird, hatte in den vergangenen Monaten zahlreiche Proteste gegen das Massensterben im Mittelmeer organisiert. Seit Anfang 2014 sind dort rund 17.000 Menschen gestorben – und während sich Europa abschottet, werden zivile Seenotretter seit einigen Monaten massiv daran gehindert, Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Weil ihnen die Einfahrt in europäische Häfen verweigert wird, treiben Schiffe mit geretteten Flüchtlingen tagelang auf dem Meer. Oder die Boote werden einfach festgesetzt, während fast jeden Tag Menschen ertrinken.

Dem will die Seebrücke entgegentreten. »Gegen den Rechtsruck auf Regierungsebene setzen wir auf die utopische Kraft der Städte«, sagt Bernd Eichner. Das heißt: Kommunen sollen sich gegen die Abschottungspolitik stellen und zu »sicheren Häfen« für Geflüchtete erklären. Vorbild könnten US-amerikanischen Städte und Bundesstaaten sein, die sich gegen die Klima- und Migrationspolitik von Donald Trump wehren, indem sie Menschen nicht abschieben oder in Eigenregie Klimaziele verfolgen. In einem offenen Brief an Angela Merkel haben die Oberbürgermeister von Köln, Düsseldorf und Bonn bereits im Juli ihre Bereitschaft erklärt, in Seenot geratene Flüchtlinge aufzunehmen. Auch andere Städte wie Rostock, Bielefeld oder Berlin machen mit. In Italien stellen sich etwa Palermo und Neapel als Teil dieser Achse gegen den rechten Innenminister Matteo Salvini. Und Barcelona hat bereits Taten folgen lassen: In der katalanischen Stadt durfte das Rettungsschiff Open Arms Anfang Juli mit 60 geretteten Menschen anlegen.

Meist geht es aber um ein symbolisches Druckmittel. Denn gegen den Willen der Zentralregierungen können Geflüchtete nicht aufgenommen werden. Während Spaniens neue sozialdemokratische Regierung zumindest der Aufnahme im Juli wohlwollend gegenüberstand, wird das von der deutschen und der italienischen Regierung verhindert. Also ging es in Frankfurt auch in seiner Abwesenheit um Seehofer – die Symbolfigur dieser Abschottungspolitik in Deutschland. »Sei kein Horst«, war dort auf Transparenten zu lesen.

Immer wieder gehen wie in Frankfurt Tausende auf die Straße, erst am Sonntag protestierten in Köln etwa 12.000 Menschen für eine eine menschliche Asylpolitik – doch die Aufmerksamkeit bekommen derzeit vor allem die Rechten. »Wir wollen diese Stimmung drehen«, so Bernd Eichner. Und Hagen Kopp, der 2014 das »Alarmphone« gründete, ein Notruf für in Seenot geratene Flüchtlinge, forderte: »Wir müssen eine starke soziale Dynamik entfachen und den Druck auf die handelnden Politiker erhöhen.« Damit meinte er auch Frankfurts Kommunalpolitiker. Die Bankenmetropole solle sich endlich zur sicheren Hafenstadt erklären, forderten die Demonstranten am Montag lautstark.

Doch die Frankfurter CDU ist, anders als etwa ihr Bonner Parteifreund und Oberbürgermeister Ashok Sridharan, bisher dagegen. Obwohl sich die Grünen explizit dafür aussprechen und auch SPD-Oberbürgermeister Peter Feldmann findet, dass das »gut zu Frankfurt« passe, haben sich SPD und Grüne, die in der Mainmetropole gemeinsam mit der CDU regieren, bisher dem Koalitionszwang gebeugt: Im August stimmten sie dagegen, Frankfurt zum »sicheren Hafen« zu erklären.

Die Seebrücke will jedoch nicht aufgeben. Am Montag wurde ein offener Brief an die Stadtoberen verlesen, dem sich inzwischen zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen, Kirchenvertreter und auch Politikerinnen angeschlossen haben – unter ihnen Bundes- und Landtagsabgeordnete der LINKEN und von SPD und Grünen. Es wäre, sollte es doch noch zu einem solchen Beschluss kommen, ein mehrfaches Symbol: An den Innenminister, an die Öffentlichkeit und nicht zuletzt an die hessischen Wähler*innen.

Ende Oktober wird in Hessen ein neuer Landtag gewählt. Bisher regiert dort die erste schwarz-grüne Koalition eines deutschen Flächenlandes. Sie ist auch für Abschiebungen nach Afghanistan verantwortlich. Und obwohl sich die CDU klar gegen die AfD positioniert, wird diese voraussichtlich in den Landtag einziehen. Deshalb haben laut Umfragen derzeit weder die bisherige Regierung noch Rot-Rot-Grün eine Mehrheit. Ob sich das durch eine progressive Migrationspolitik noch ändern ließe?

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