- Wirtschaft und Umwelt
- Rechte von Kleinbauern
Raus aus der Unsichtbarkeit
Mit einer UN-Deklaration sollen die Rechte von Kleinbauern weltweit gestärkt werden
Seit mehr als 15 Jahren haben Diego Montón und seine Mitstreiter von Via Campesina auf diesen Moment hingearbeitet: An diesem Mittwoch wird der UN-Menschenrechtsrat voraussichtlich über die »Erklärung über die Rechte von Kleinbauern und anderen Menschen, die in ländlichen Gegenden arbeiten«, abstimmen. »Endlich spricht man auf höchster Ebene über Campesinos, endlich werden Kleinbauern dort als eigenes Subjekt anerkannt«, so der argentinische Aktivist. Das sei schon ein Erfolg. Stimmt die Mehrheit der 47 Mitglieder für die Erklärung, folgt - möglicherweise schon im Oktober - die Abstimmung in der UN-Generalversammlung.
Menschenrechte, Rechte von Arbeitern und Indigenen sind bereits in verschiedenen Konventionen der internationalen Gemeinschaft festgeschrieben. Das aber, so meint die Juristin Adriana Bessa, genüge nicht, um Kleinbauern zu schützen. Sie hat die Erarbeitung der Erklärung unter dem Vorsitz Boliviens seit 2012 begleitet. »Wir müssen Campesinos aus der Unsichtbarkeit holen«, sagt Bessa.
Etwa zwei Milliarden Menschen weltweit leben auf dem Land. Sie machen fast 80 Prozent all jener aus, die unter absoluter Armut leiden. Infolge der weltweiten Finanz- und Ernährungskrise 2008 gab der UN-Menschenrechtsrat ein Studie zum überproportionalen Hunger in ländlichen Regionen in Auftrag. Als Ursachen wurden darin Vertreibungen, Enteignungen, fehlende Mindestlöhne und die Kriminalisierung von Landbewegungen festgestellt.
Die Liste der Fälle, in denen Kleinbauern um ihr Leben kämpfen, ist endlos. In Sumatra wurden erst kürzlich über 100 Familien von der Polizei aus ihren Häusern vertrieben, um Platz für eine Palmölplantage zu machen. Im Rahmen der G7-Initiative »Allianz für Ernährungssicherheit« haben Länder wie Tansania ihre Saatgutgesetze angepasst. Kleinbauern werden so daran gehindert, traditionelle, selbstkultivierte Samen zu kaufen und in die Abhängigkeit von Saatgutkonzernen gedrängt. In Brasilien wurden nach Angaben der Landpastorale seit 1985 über 1800 Menschen in Landkonflikten ermordet.
Aber, so macht Paula Gioia von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft deutlich, beim Schutz kleinbäuerlicher Rechte gehe es nicht nur um Lateinamerika oder Afrika. »In Deutschland werden Kleinbauern zwar nicht ermordet, aber zum Aufgeben gezwungen und ziehen weg.« In Ostdeutschland etwa wird seit Jahren ehemals staatseigenes Land an den Meistbietenden verkauft, in der Regel an Großinvestoren wie Versicherungskonzerne. »Deutschland und Europa haben eine doppelte Verantwortung«, so Gioia, »denn sie zerstören kleinbäuerliche Strukturen hierzulande, aber über ihre Handels- und Investitionspolitik auch in Ländern des globalen Südens.«
In der aktuellen Erklärung sind individuelle und kollektive Rechte für Kleinbauern festgeschrieben, darunter das Recht auf Land, Saatgut, Selbstorganisation sowie Zugang zu Justiz. Laut Kritikern wurde eine frühere Version auf den Druck der westlichen Industrieländer allerdings verwässert. Bessa meint: »Die Deklaration ist nicht perfekt, aber sie ist gut.«
Eine Erklärung ist anders als UN-Konventionen nicht rechtlich bindend, sondern zunächst ein politisches Druckmittel. Dass es sich trotzdem nicht um ein irrelevantes Papier handelt, zeigt der Widerstand der Industrieländer. Als der Menschenrechtsrat auf Grundlage seiner Studie die Empfehlung gab, eine solche Erklärung auf den Weg zu bringen, sprach sich Deutschland dagegen aus. Das FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk FIAN machte dies öffentlich. Seitdem, so erzählt Gertrud Falk von FIAN, habe sich die Bundesrepublik wohl auf eine Enthaltung festgelegt, mache aber unter den anderen EU-Staaten im Menschenrechtsrat Druck, nicht für die Deklaration zu stimmen, sondern sich gemeinsam zu enthalten.
Woher der Widerstand innerhalb der deutschen Regierung kommt, lässt sich für die beteiligten Organisationen nur schwer ausmachen. »Die Bundesregierung ignoriert unsere Fragen«, beschwert sich Gioia. Und Gertrud Falk kritisiert, dass sich Deutschland in der Arbeitsgruppe extrem passiv verhalten habe. Es seien Praktikanten oder Personen ohne Rederecht nach Genf geschickt worden.
Der Grünen-Abgeordnete Uwe Kekeritz berichtet, dass sich der Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) im April für eine Zustimmung zur Deklaration ausgesprochen habe. Der Widerstand, so scheint es den beteiligten Organisationen, komme vor allem aus dem federführenden Auswärtigen Amt. Die Grünenfraktion hat nun einen Antrag gestellt, in dem sie die Bundesregierung zur Unterstützung der Deklaration auffordert. Dass die ihre Meinung kurzfristig ändert, hält Gertrud Falk für unwahrscheinlich, aber »wir werden mit Blick auf die Abstimmung in der Generalversammlung weiter Druck machen.«
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