Tanz mit den Toten

In Madagaskar wird ein fröhliches Leichenfest gefeiert. Doch das Ritual könnte auch eine Rolle bei der Verbreitung der Pest spielen

  • Jürgen Bätz, Masiniloharano
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Kapelle unterbricht ihre fröhliche Musik für einen Trommelwirbel. Alle Augen sind nun auf die Familiengruft gerichtet: Das schwere Betontor der Gruft öffnet sich langsam, jetzt ist es Zeit, die Gebeine der Vorfahren herauszuholen. Als die Dorfbewohner die ersten sterblichen Überreste ans Licht bringen, geht ein Freudenschrei durch die Menge. Familienmitglieder legen die in weiße Leichentücher gewickelten Gebeine in Strohmatten. Dann schultern sie diese und tanzen fröhlich um die Gruft herum.

Beim Leichenfest »Famadihana« (wörtlich: Umdrehen der Knochen) werden die Gebeine der Vorfahren exhumiert, freudig zur Schau gestellt und wieder in neue Leichentücher gewickelt. Für viele Menschen in Madagaskar ist es das wichtigste Ritual der Ahnenverehrung, für Kritiker hingegen ist es ein Zeugnis von Aberglaube und Heidentum.

»Mit der «Famadihana» erweisen wir unseren Ahnen Respekt«, erklärt die 60-jährige Rasoanomenjanahary, die keinen Vornamen hat. Sie ist für die Organisation der Zeremonie ihrer Familie zuständig. »Die Ahnen wachen über ihre Nachfahren, deswegen bitten wir um ihren Segen und ihren Schutz«, sagt sie. Rund 300 Angehörige und Anwohner haben sich für die »Famadihana« im Dorf Masiniloharano an der Gruft versammelt. Für die Familien sind Leichenfeste - die normalerweise alle sieben Jahre stattfinden - Pflichttermine.

Masiniloharano liegt in den Hügeln des zentralen Hochlands. Hier gibt es weder Strom noch fließend Wasser. An der Gruft wird inzwischen so freudig zur Musik getanzt und gestampft, dass vom sandigen Boden Staubwolken aufsteigen, die rasch alle Feiernden einhüllen. In der Luft mischt sich der Staub mit dem süßlichen Duft des im Dorf selbst gemachten Rums, genannt »toaka gasy«.

Die Ahnen, genannt »Razana«, werden in Madagaskar wie Heilige verehrt, erklärt der Historiker Mahery Andrianahaga. »Sie sind nicht nur Knochen. Sie gelten als Menschen, die noch da sind und eine wichtige Rolle spielen.« Die »Famadihana« sei nötig, um ihnen Respekt zu zollen.

Das Ritual wird in Madagaskar vor allem von den Betsileo und Merne praktiziert. Obwohl dabei zu Lebzeiten geliebte Angehörige exhumiert werden, wird nicht getrauert. Frohsinn ist beim Wiedersehen mit den Ahnen Pflicht, denn alles andere gilt als schlechtes Omen.

Die in Madagaskar dominante katholische Kirche hat sich mit dem Ahnenkult arrangiert, denn die Verehrung von Heiligen hat für sie schon immer eine große Rolle gespielt. Bei Protestanten und Evangelikalen hingegen wird der Brauch abgelehnt.

Einen dunklen Schatten auf die »Famadihana« wirft die in Madagaskar noch immer nicht ausgerottete Pest. Manche Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mutmaßen, das Ritual spiele eine Rolle bei der Verbreitung des Pest-Bakteriums, denn rund um die Zeremonien komme es immer wieder zu Erkrankungen. Pesttote müssen mit einer Chlorlösung gewaschen und mit Kalk eingerieben werden. Sie dürfen nicht in der Familiengruft beerdigt werden, sondern müssen separat vergraben werden. Doch die Regel wird nicht immer beachtet. dpa/nd

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