Erlöst wird man hier nicht
Untröstlicher Harmoniegesang: »Double Negative« von Low
schwere Worte, die sich nach Abschied anhören: »What could I say? / Taken aback / All that you gave / Wasn't enough.« Das Stück »Dancing and Blood« ist beispielhaft für Lows zwölftes Album »Double Negative« - Es klingt genauso, wie es heißt: Das an organische Industrieanlagen erinnernde Bass- und Rhythmusfundament entfaltet seine Macht mit der Kraft eines riesigen Herzens, dessen Pumpbewegungen alles, was da noch kommen mag, dominieren wird. Der eindrucksvolle Song der Band aus Minnesota baut sich in Schichten auf - Mimi Parkers Stimme erscheint als nächstes: dieser immer hohe, pastoral-getragene, spröde Gesang der Sängerin und Schlagzeugerin. »Dancing and Blood« schließt sich nahtlos an einen kunstvoll zerrissenen Noise-Ambient-Track mit Stimmfetzen wie verwehte Erinnerungen namens »Quorum« an. Gespenstische Seufzer aus überdimensionierten synthetischen Orgelpfeifen erklingen, und irgendwo, auf einer Lichtung inmitten dieser dunstschweren Soundlandschaft erkennt man nun endlich Alan Sparhawks reduziertes Gitarrenspiel. Ein paar Töne nur - ein an Ferne und Weite erinnerndes Melodiemotiv, wie man es von Labradford, Pan Am oder Bohren und der Club of Gore kennen mag. Stimmen werden zu Chorälen, alles verdichtet sich, dann bricht das Stück jäh ab und klingt zweieinhalb Minuten aus in zurückgenommenen Noten. War da was?
Seit nunmehr 25 Jahren handelt es sich um gute Nachrichten, wenn es heißt, Low haben ein neues Album veröffentlicht. Auf die hochkonzentrierte, nahezu fugenlos dichte Musik des Duos mit wechselnden Bassisten war stets Verlass: Nächte wurden regelmäßig schwärzer mit ihr, depressive Stimmungen keineswegs schwächer. Erlöst wurde man hier eher nicht. Lows Musik bietet keinen Ausweg, man fühlt sich völlig absorbiert, ganz eingeschlossen in das dynamische Spiel von Laut und Leise, in das unveränderliche stoische Tempo, den untröstlichen Harmoniegesang der beiden.
Das alles hat sich trotz Kooperationen mit anderen Musikern und wechselnder Vertiefungen, Vergröberungen oder Auflockerungen im Soundgefüge nie geändert - für »Double Negative« gilt das auch. Denn obwohl hier die Arbeit des Elektronikproduzenten BJ Burton so deutlich durchschlägt, wie sie es zuletzt bei Bon Ivers Platte »22 A Million« getan hat; obwohl hier die Stimmen verhäckselt stottern oder zu gespenstischen Schatten ihrer selbst werden, Sounds in ihre Mikrobestandteile zersetzt werden und es bisweilen stampft und dröhnt wie in einer grobmechanischen Vorhölle, bleiben Low doch mit sich identisch. Melancholisch getragen, schmucklos, hermetisch nach Innen abgeriegelt und von großem sakralen Ernst.
Low: »Double Negative« (Sub Pop/ Cargo)
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