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Friedhofsruhe im Hambacher Forst

Räumung nach dem Tod eines Journalisten ausgesetzt / Firma zieht schwere Gerätschaften für die Polizei zurück

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie es nun weitergeht, ist vorerst unklar. Die Landesregierung von Nordrhein Westfalen hat die Räumung ausgesetzt. Innenminister Herbert Reul setzt aber auf ein freiwilliges Ende der Waldbesetzung im Hambacher Forst. Er appellierte am Donnerstag an die Besetzer der letzten Baumhäuser, diese freiwillig zu räumen, «damit nichts passiert», machte aber gleichzeitig klar, dass die Räumung wieder aufgenommen werde. Wann, das wisse er noch nicht, sagte Reul dem Radiosender WDR 2. «Das wollen wir in aller Ruhe überlegen».

Zeit innezuhalten. Einen Moment der Ruhe hatten auch die Besetzer nach dem tödlichen Sturz eines Journalisten gefordert, der durch eine Hängebrücke gebrochen und aus fünfzehn bis zwanzig Meter Höhe in die Tiefe gestürzt war. Der Fotoreporter hatte die Räumung und das Vorgehen der Polizei von oben aus Beechtown, der letzten der Baumhaussiedlungen im Hambacher Forst, dokumentieren wollen. Die danach erhoffte Ruhe trat ein. Nur Beamte der Spurensicherung waren rund um den Unfallort im Einsatz.

Laut einem Kontaktbeamten der Polizei hatten sich bereits am Morgen einige Besetzer gemeldet, um freiwillig ihr Baumhaus in «Beechtown» zu verlassen. «Doch wie wir später feststellten, hatten sie ohne unsere Unterstützung den Wald verlassen, so der Beamte. Momo, ein Sprecher der Waldbesetzer, konnte das auf nd-Anfrage nicht bestätigen. »Heute wird es einen Trauermarsch von Buir zur Mahnwache geben, ansonsten ist die Lage Scheiße«, erklärte er niedergeschlagen. In der letzten noch nicht geräumten Baumhaussiedlung war zudem eine Schweigeminute angekündigt.

Die Siedlung ist aus gutem Grund die letzte noch ungeräumte. Hier befinden sich die Baumhäuser deutlich höher in den Buchen. Das höchste des knappen Dutzends von Häusern wurde auf 28 Metern Höhe im Baum fixiert. Zwischen den bewohnten Bäumen sind Hängebrücken gespannt, so dass die Besetzer von einem Baum zum anderen übersetzen können. Das macht die Räumung noch schwieriger als in den anderen Baumhaussiedlungen. Und auch riskanter, wie der tödliche Sturz des jungen Journalisten auf tragische Weise belegt.

In Düsseldorf übergaben am Morgen Umweltorganisationen 539 671 Unterschriften für den Erhalt des Hambacher Forstes und für den Ausstieg aus der Kohleverstromung. Für die Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) war das ein »sehr beeindruckendes Zeichen, das bei uns gehört wird. Wir nehmen das sehr, sehr ernst«, so die Ministerin. Heinen-Esser bekannte sich zu der Entscheidung, die Räumung der verbleibenden Baumhäuser erst einmal auszusetzen. »Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen«, so Heinen-Esser. Warum die Regierung allerdings derart überstürzt und auf Basis des Baurechts die Räumung angeordnet hatte, ist bisher immer noch nicht klar. Das hat die Vertreterin der Bürgerinitiative »Buirer für Buir«, Antje Grothus, mehrfach kritisiert. »RWE will im Schulterschluss mit dem Innenministerium Fakten schaffen, obwohl der Kohletagebau nicht stillstehen wird, wenn hier in diesem Jahr oder auch im nächsten nicht gerodet wird«, moniert die Frau. Sie ist Mitglied in der Kohlekommission, die im Auftrag der Bundesregierung bis Ende des Jahres einen Kompromiss für den Ausstieg aus der Kohleverstromung finden soll. »Dort sollte eigentlich in Ruhe verhandelt werden, um einen Ausstiegsplan zu erstellen, aber das ist so alles andere als einfach« so Grothus, die regelmäßig im Hambacher Forst unterwegs ist und einige der Aktivisten seit Jahren kennt.

Von denen sind zumindest einzelne nach der Räumung und teilweisen Zerstörung ihrer Baumhäuser zurück in den Wald gegangen und haben in »Beechtown« Asyl erhalten, wie auf dem Twitterkanal von »Oaktown«, einer bereits geräumten Siedlung, zu sehen war. Wie es nun weiter geht, darüber herrscht derzeit Unklarheit. Sicher ist allerdings, dass die Polizei bei der Wiederaufnahme der Räumung nicht mehr auf die Arbeitsbühnen des Verleihers Gerken zurückgreifen kann. Der kündigte am Mittwochabend an, seine Geräte aus dem Hambacher Forst abzuziehen. »Da auch wir mit der Vorgehensweise im Hambacher Forst absolut nicht einverstanden waren und sind und wir auch den Einsatz unserer Bühnen dort nicht weiter rechtfertigen können, haben wir heute beschlossen, dass wir unsere Geräte dort stilllegen«, verkündete die Geschäftsleitung am Mittwoch auf der Homepage der Firma. Für RWE ist das Vorgehen rund um die Räumung und die anvisierte Rodung des Hambacher Forst längst zum medialen Desaster geworden.

Das könnte sich weiter ausweiten, denn es kursieren Gerüchte, dass die Idee, das Baurecht für die Räumung der Baumhäuser heranzuziehen und die Baumhäuser über Nacht zu baulichen Anlagen zu erklären, von RWE stamme. Sollten dafür Beweise auftauchen, geriete auch die Regierung in Nordrhein-Westfalen in Erklärungsnot.

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