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  • Pünktlichkeit der Berliner S-Bahn

Rekordstrafe für S-Bahn-Ausfälle

Senat kann 26 Millionen Euro für 2017 einbehalten / Autonomes Fahren noch kein Thema

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Erst ab Januar 2021 werden Berliner mit den neuen S-Bahnzügen probefahren können.
Erst ab Januar 2021 werden Berliner mit den neuen S-Bahnzügen probefahren können.

»Wir hatten am 30. Juli schon den Sekt kalt gestellt - und dann kam der 31. Juli mit seinen vielen Signalstörungen und verhagelte uns die Monatsbilanz bei der Pünktlichkeit«, berichtet S-Bahn-Chef Peter Buchner. Es war wieder ein Monat, in dem die Deutsche-Bahn-Tochter den angepeilten Pünktlichkeitswert von 96 Prozent aller Züge gerissen hatte. »Zwei bis drei schlechte Tage im Monat reichen, um den Wert unter die Grenze zu ziehen«, sagt Buchner am Montagmorgen im Capital Club im Hotel Hilton am Gendarmenmarkt.

Gerade ist die Abschlussbilanz 2017 des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB) zum Verkehrsvertrag mit der S-Bahn Berlin bekanntgeworden. Aus dem »nd« vorliegenden Dokument ergibt sich, dass wegen Qualitätsmängeln oder nicht erbrachten Leistungen die Bahntochter knapp 26 Millionen Euro weniger bekommt, als die ursprünglich vereinbarten rund 270 Millionen Euro. Einbehalten wurden vom Senat bereits knapp 3,8 Millionen Euro, etwa 22 Millionen Euro muss er noch bekommen. Die Pünktlichkeitsquote lag 2017 bei nur 92,3 Prozent nach 94,2 Prozent im Jahr 2016. »Die Pönalen tun weh«, sagt Buchner. »Aber natürlich motivieren sie uns auch, besser zu werden.«

Neben technischen Störungen sind auch Polizei- und Notarzteinsätze, akuter Fahrzeugmangel sowie fehlende Lokführer die Gründe für Ausfälle und Verspätungen. In letzter Zeit trifft es die S45 besonders oft, zum Teil fuhr sie überhaupt nicht.

Die Digitalisierung soll helfen. Die für die Fahrwege zuständige DB Netz misst schon jetzt mit dem Diagnosesystem DIANA den benötigten Strom für das Umstellen der Weiche. Wenn die Kurve abweicht, schaut sich ein Reparaturteam die Kandidatin an, noch bevor sie ausfällt. »Unsere neuen Fahrzeuge werden Sensoren und Verkabelung für entsprechende Diagnosesysteme vorgerüstet haben«, erklärt Buchner. Er meint die Züge der Baureihe 483/484, die erstmals am vergangenen Wochenende auf den Publikumstagen der Eisenbahnmesse Innotrans einer breiteren Berliner Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Insgesamt 382 Wagen sollen schrittweise bis Oktober 2023 den Verkehr auf den Ringbahnlinien und den abzweigenden Strecken nach Königs Wusterhausen und zum Flughafen Schönefeld übernehmen.

Autonomes Fahren, also den Ersatz der Lokführer durch Rechentechnik und Sensoren sei zwar »ein spannendes Thema, aber auch ein dickes Brett«, sagt der S-Bahnchef. »Solange die Systeme nicht in der Lage sind, starken Regen, Schneefall oder Vögel von Hindernissen auf dem Gleis zu unterscheiden, würden unsere Züge auf dem Ring immer wieder wegen irgendetwas stehenbleiben.«

Im Juli wurde für die Hamburger S-Bahn ein Pilotprojekt für vollautomatischen Betrieb vorgestellt. Ganz ohne Fahrer werden die vier Testzüge allerdings nur in die Kehranlage fahren, obwohl 23 Kilometer Strecke und vier Züge bis Oktober 2021 ausgerüstet werden sollen. Ansonsten überwacht ein Lokführer im Führerstand den Betrieb und kann eingreifen, zum Beispiel, wenn die Technik von Regen verwirrt ist. »Das wird ein Testlauf für die ganze Deutsche Bahn«, sagt Buchner. Insofern müsse Berlin da nicht parallel testen.

»Wir werden noch lange Lokführer brauchen«, versichert Buchner und wirbt für die Ausbildung. An der Bewerberlage hänge es im übrigen bei der S-Bahn nicht, vielmehr habe sich die Ausbildungskapazität als Engpass erwiesen. Rund 300 neue Kräfte wurden seit 2015 ausgebildet, damit konnte die Zahl allerdings nur um rund 100 Lokführer auf rund 1100 gesteigert werden. Den immer wieder auftretenden Mangel an Fahrpersonal führt Buchner auf neu verhandelte Tarifverträge zurück, die mehr Urlaubstage und lange im voraus festgelegte Schichtpläne zur Folge haben.

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