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Rückenwind und Bremsversuche

Deutsche Windkraftbranche will von Berlin mehr Unterstützung - und setzt auf neue Exportmärkte

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Ronny Meyer redet Klartext: »Es ist bekloppt, jetzt auf die Bremse zu treten.« Der Umweltstaatsrat und Grünen-Politiker aus Bremen zielt damit auf die über Jahrzehnte hochsubventionierte Windbranche, die aus seiner Sicht jetzt den Punkt erreicht hat, ohne Staatsgelder wettbewerbsfähig zu sein. Doch da die Bundesregierung auf die Bremse trete und den Ausbau der Windenergie deckele, drohe dieser das gleiche Schicksal wie den deutschen Solarproduzenten: Sie hatten einst als staatlich geförderte Pioniere den Markt weltweit bereitet, um dann von Billiganbietern aus China verdrängt zu werden.

Doch ganz so eindeutig, wie es Meyer und die Umweltminister der norddeutschen Länder in der am Freitag zu Ende gehenden Messe »Wind Energy« in Hamburg darstellten, liegt der Fall nicht. Nach Angaben des Maschinenbauverbandes VDMA sinkt die neu installierte Leistung in Deutschland zwar von 5,7 Gigabyte 2017 auf etwa 2 Gigabyte im kommenden Jahr. Das sei ein tiefer Einbruch für die »relativ junge Industrie«. Doch dahinter stehen lang absehbare Entwicklungen. Die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) von 2016 mit ihren absehbar sinkenden Einspeisevergütungen löste eine Welle vorgezogener Bestellungen aus. Außerdem werden, wie in anderen Industriebranchen üblich, auch neue Windparkprojekte künftig ausgeschrieben und das günstigste Gebot erhält den Zuschlag. Was zu drastisch gesunkenen Preisen führte, die neue Windparkbetreiber für die Stromeinspeisung ins Netz verlangen.

Außerdem verlangsamt ein »Fehler der Politik«, wie es der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies (SPD) nennt, den Ausbau der Windenergie in Deutschland. Lies war auch an den Koalitionsverhandlungen in Berlin beteiligt, in der eine sogenannte Bürgerwindregelung beschlossen worden war, die Akzeptanz für Industrieanlagen mitten in der Landschaft heben sollte. Kommunen und Bürgerinitiativen gewannen dann auch 2017/18 die Mehrzahl der Ausschreibungen. Doch jene warten nun mit dem Baubeginn, bis die deutlich leistungsfähigeren Turbinen der nächsten Generation ab 2019 auf den Markt kommen werden.

Für die konjunkturelle Delle werden zunächst die Beschäftigten vor allem in unteren Lohngruppen die Zeche zahlen. Das ist für die Betroffenen bitter, aber das übliche Geschäftsgebaren in der flauteanfälligen Windbranche. Die IG Metall geht von bis 4000 Arbeitsplätzen aus, die seit Anfang 2017 bereits gestrichen wurden.

Doch wirklich dramatisch, wie die Windkraftlobby öffentlich klagt, ist die betriebswirtschaftliche Lage nicht, denn die Turbinenhersteller in Deutschland sind weit weniger abhängig vom deutschen Markt als viele annehmen. Nach Angaben des Bundesverbands Windenergie (BWE) beträgt die Exportquote der Anlagenhersteller zwischen 65 und 70 Prozent. Und der Maschinenbauverband VDMA beobachtet denn auch seit fünf Jahren einen »Trend zur Internationalisierung«.

Dabei gibt das knappe Dutzend Turbinenbauer von Enercon bis Siemens zwar den Ton vor, die Musik wird aber woanders gespielt, nämlich in der Zulieferindustrie. Die liefert in alle Welt. Selbst in Windmühlen des chinesischen Herstellers Ming Yang, der erstmals auf der »Wind Energy« ausstellte, steckt deutsche Ingenieursleistung. Der mittelständische Dienstleister Weidmüller, der laufende Windkraftanlagen überwacht, ist in 80 Ländern mit Produktionsstätten und Vertretungen im Geschäft.

Die Zahl der Beschäftigten in der deutschen Windindustrie hat sich innerhalb eines Jahrzehnts auf rund 150 000 verdoppelt. Die Mehrzahl davon ist in Aberhunderten Firmen mit Projektierung, Service oder Dienstleistungen beschäftigt. Etwa 60 000 Arbeitsplätze hängen laut VDMA am reinen Maschinenbau, die Mehrzahl davon in der Zulieferindustrie. Und die ist in West- und Süddeutschland besonders stark, im Osten hingegen kaum präsent.

Der Zulieferindustrie geht es insgesamt gut. Auch dies zeigte die »Weltleitmesse« in Hamburg. Für volle Auftragsbücher sorgte ein Rekordergebnis in Europa: 2017 erreichte die global neu installierte Leistung an Land und auf See rund 53 Gigawatt (2007: 20 GW).

Für die Zukunft stehen die Zeichen in vielen Ländern eindeutig auf grün. Zudem entstehen neue Märkte etwa in Russland und Saudi-Arabien. Der BWE rechnet schon für 2020 mit einem Anstieg der jährlichen Installation auf 62 bis 70 Gigawatt.

Selbst die kaum erprobten, kostspieligen Offshore-Projekte im Meer benötigen nach einer Studie der HSH Nordbank »zum Teil keine oder nur noch eine marginale Förderung« durch den Staat. Die Regierungen der norddeutschen Bundesländer, Unternehmensverbände und die IG Metall unterschrieben in der Hamburger Messe dennoch einen »Aufruf Windenergie«: Die Bundesregierung soll den Deckel des Ausbauvolumens nach oben anheben. An den dann fälligen zusätzlichen Ausschreibungen könnten sich dann aber auch ausländische Anbieter beteiligen.

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