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Zehn Jahre Zalando ohne Tarifvertrag
Trotz Rückschlägen versucht die Gewerkschaft ver.di, Mitglieder für den Arbeitskampf zu gewinnen
Zalando startete 2008 in einer Wohnung in der Torstraße in Berlin-Mitte. Dort begannen Freunde, einen Online-Schuhhandel aufzubauen. Zunächst verschickten sie Flip-Flops, um zu testen, ob es überhaupt einen Markt gibt. Der E-Commerce steckte in den Kinderschuhen. Ein besonderer Service, den die Firmengründer David Schneider und Robert Gentz anboten, war die Möglichkeit, die Waren kostenlos zurückzusenden, wenn sie nicht gefielen oder nicht passten. Der Markt war da, Zalando begann zu wachsen. Heute arbeitet mit rund 6000 Menschen der Löwenanteil der Beschäftigten in Berlin und Brandenburg. Insgesamt verdoppelte sich die Beschäftigtenzahl von von 2013 bis 2017 von knapp 7000 auf gut 15 000 weltweit.
Es gibt in deutschen Niederlassungen Betriebsräte. Es gibt Vertrauensleute - also ehrenamtliche Aktive im Betrieb, die für die Gewerkschaft werben. Was es nicht gibt, ist ein Tarifvertrag. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di versucht seit Jahren, Mitglieder zu gewinnen und die nötige Stärke für den Kampf um die Tarifbindung zu erreichen. Doch das dauert. Der Streit ähnelt der Auseinandersetzung bei Amazon. Beide Unternehmen sehen sich als Logistiker und zahlen entsprechend branchenübliche Löhne. Für ver.di handelt es sich hierbei jedoch um Unternehmen, die Waren an den Endkunden bringen und damit um Onlinehändler. Doch da im Handel die Löhne höher sind als in der Logistikbranche, nutzen die Unternehmen die Möglichkeit, Personalkosten zu sparen.
Im Zalando-Lager in Brieselang bei Berlin war die gewerkschaftliche Organisierung gut fortgeschritten, sechs Mal hatte ver.di 2017 und 2018 zum Streik aufgerufen. Doch im Frühjahr steckte die Gewerkschaft eine Niederlage ein. »Brieselang mit seinen insgesamt rund 1400 Beschäftigten war lange das gewerkschaftliche Aushängeschild bei Zalando«, erzählt Erika Ritter, die Leiterin des Landesfachbereichs Handel bei ver.di. Doch das sei heute nicht mehr so. Im Frühjahr hätte der Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über mehr Geld mit dem Arbeitgeber abgeschlossen. Im Zuge dieser Verhandlungen löste sich die Tarifkommission auf. Für Erika Ritter war es eine neue Erfahrung, dass ein Betriebsrat sagt, »ver.di fordert zu viel« und eine derartige Vereinbarung abschließt.
»Damit waren die Kolleginnen und Kollegen erst mal zufrieden, und das hat uns den Wind aus den Segeln genommen.« Doch mit der Vereinbarung kann die Gewerkschafterin nicht zufrieden sein. »Erstens hat Zalando jetzt noch immer keinen Tarifvertrag und zweitens ist diese Erhöhung sehr gering ausgefallen. Die Beschäftigten verdienen jetzt einen Cent mehr pro Stunde als der Tarifvertrag für die Logistikbranche vorsieht.«
Und wie ist es heute? »Heute sind wir in der Wartestellung«, sagt Ritter. Wenn die Belegschaft sich entscheidet, den Kampf für den Tarifvertrag Einzelhandel wieder aufzunehmen, ist ver.di an ihrer Seite. Einen Wunsch für Zalando zum Jubiläum hat sie auch: »Ich wünsche Zalando die Einsicht, dass gutes Personal auch entsprechend tariflich bezahlt werden muss. Dafür ist das Unternehmen inzwischen groß und erfolgreich genug.«
Nach einer Betriebsversammlung am Donnerstag im brandenburgischen Brieselang hieß es aus ver.di-Kreisen, man sei mit den Gewerkschaftsmitgliedern im Gespräch und werde von der »ureigenen Aufgabe der Gewerkschaft, Tarifverträge abzuschließen, nicht abrücken«.
Ortswechsel: Im Erfurter Zalando-Lager arbeiten nach ver.di-Angaben zwischen 3000 und 3500 Menschen. Es gibt seit 2015 einen Betriebsrat, der in diesem Frühjahr mit 23 Mitgliedern wiedergewählt worden ist. Acht davon sind Gewerkschaftsmitglieder. »Das ist noch nicht besonders viel, und die Zusammenarbeit mit den anderen Mitgliedern gestaltet sich nicht immer einfach«, erzählt Ronny Streich von ver.di, der den Standort seit Anfang 2015 betreut. Es gebe ein kleines Weihnachts- und Urlaubsgeld, »und die Zusammenarbeit mit der derzeitigen Geschäftsführung lief auch«.
Jetzt ist man gespannt, ob sich das ändert. Die neue Standortleitung, die bald das Ruder übernimmt, kommt vom Konkurrenten Amazon. Auch hier sieht man, dass der Aufbau von Gewerkschaftsstrukturen eine Kärrnerarbeit ist. »Wir sind Mitte 2016 mit rund 40 Mitgliedern gestartet«, sagt Streich, »und konnten die Zahl vervielfachen«. Doch die Gründung einer Tarifkommission oder gar Gedanken an einen Arbeitskampf für den Tarifvertrag seien noch Zukunftsmusik.
Im Frühjahr machte Zalando Schlagzeilen mit einer neuen Strategie, die Personalkosten zu senken. Nach Medienberichten wollte das Unternehmen seine Marketingabteilung radikal umbauen. Rund 250 real existierende Menschen sollten ihren Job an Algorithmen verlieren. Zur Begründung zitierte »FAZ.NET« Zalandos Co-Chef Rubin Ritter: »Wir gehen davon aus, dass Marketing in Zukunft noch datenbasierter sein muss.« Diskussionen auch darüber, wie die Waren automatisch verpackt und verschickt werden können, laufen bei vielen Onlinehändlern. Doch komplett kann man den Menschen nicht ersetzen und muss ihn oder sie dann auch vernünftig bezahlen - nach tariflichen Standards.
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