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Demokratie oder Dominanz - was soll ein EU-Sicherheitsrat?
Kanzlerin Merkel will die außenpolitischen Entscheidungsprozesse der Gemeinschaft »schneller« machen
Die Idee eines EU-Sicherheitsrates, in dem nicht alle - künftig und vorerst 27 - EU-Mitgliedsstaaten gleichzeitig vertreten sind, ist so neu nicht. Dass die Bundeskanzlerin sie am Sonntag bei einer Europaveranstaltung im bayrischen Ottobeuren abermals auf den Tisch legte, ist einer durchaus korrekten Analyse geschuldet: Die Gemeinschaft kann sich - im Gegensatz beispielsweise zu den USA - bislang nur mit angezogener Handbremse in die Weltpolitik einmischen. Auch Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat das schon beklagt. Mehrfach. Beispielsweise auf der diesjährigen Münchener Sicherheitskonferenz. Er sagte: »Wenn wir weltpolitikfähig werden wollen, dann müssen wir auch unsere Entscheidungsprozesse vereinfachen und vereinheitlichen.«
Zur Zeit werden außenpolitische EU-Beschlüsse vorwiegend im Europäischen Rat gefasst. Für Entscheidungen des Gremiums bedarf es der Einstimmigkeit. Immer wieder gibt es aber Blockaden durch einzelne Staaten geführt.
Eine europäische Außenpolitik, die stets auf Einstimmigkeit basiere, könne keine sinnvolle Lösung für die Zukunft sein, betonte Merkel daher und verwies darauf, dass man nur »mühselig« eine Russland-Sanktionspolitik zustande gebracht habe. Auch gegenüber den USA gebe es »Nuancen«, in denen Unterschiede zwischen EU-Mitgliedern deutlich werden. Deshalb, so die Kanzlerin, plädiere sie »für einen europäischen Sicherheitsrat mit rotierenden Mitgliedern, wo wir schnell handlungsfähig sind«.
Ein rotierendes System bedeutet, dass entweder die großen Länder - ähnlich wie im UN-Sicherheitsrat mit Vetorecht - immer präsent sind und die kleinen EU-Staaten sich abwechseln müssen. Doch Frankreich und Deutschland ständige Sitze einzuräumen, fällt der Mehrheit der Mitgliedsstaaten nicht im Traum ein. Ebenso ist es illusorisch, dass die beiden Großen sich - so sie temporär nicht im Rat vertreten sind - den Entscheidungen der Kleinen beugen.
Selbst wenn eine der beiden Varianten Akzeptanz finden würde, so bleibt unklar, auf Basis welcher Strategien der Sicherheitsrat Entscheidungen fällen soll. Oberstes Gebot der EU muss die weltweite Sicherung und Wiederherstellung friedlicher Verhältnisse sein. Die Hoffnungen auf die Autorität der EU in dieser Frage waren immens, als die Gemeinschaft 2012 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Doch die Gemeinschaft setzt immer mehr auf die harte Machtoption. Insbesondere innerhalb der vergangenen drei Jahre ist eine deutliche Militarisierung der EU-Außenpolitik zu beobachten.
Das war nicht von Anfang an so. Durch den Vertrag von Maastricht wurde im Jahr 1992 eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) postuliert - ohne deutliche Militärkomponente. Das änderte sich im Jugoslawienkrieg um Kosovo 1999. Wider den Mehrheitswillen der EU starteten die USA und die NATO diesen völkerrechtswidrigen Angriff. Dies führte dazu, dass die EU-Regierungschefs einen Ausbau eigener militärischer Grundlagen bis in den Rüstungsbereich hinein anstrebten, um militärische Operationen in Eigenregie durchführen zu können. Die sogenannte European Rapid Reaction Forces war geboren. Die Verträge von Nizza und Lissabon ebneten weitere Wege. Die werden - weg von einer ursprünglich angestrebten Zivilmacht EU hin zu einer Militärmacht EU - mit Konsequenz beschritten.
Sechs internationale Militäroperationen stehen derzeit unterm blauen Sternenbanner. Der Krieg um Syrien ist ein beredtes Beispiel dafür, wie unterschiedlich die Europäische Außen- und Sicherheitspolitik von Mitgliedsstaaten ausgelegt wird. Als Frankreichs und Großbritanniens gemeinsam mit den USA Marschflugkörper gegen Stellungen des Assad-Regimes feuerten, meinte EU-Ratspräsident Donald Tusk, der Einsatz mache deutlich, »dass das syrische Regime zusammen mit Russland und dem Iran nicht mit dieser menschlichen Tragödie fortfahren kann, zumindest nicht ohne Folgen«. Die EU werde »mit ihren Verbündeten auf der Seite der Gerechtigkeit stehen«. Irrtum! Denn die EU stand keinesfalls »wie ein Mann« hinter den Angriffen. Vor allem kleine und Nicht-NATO-Länder wie Schweden, Österreich, Finnland, Irland, Malta und Zypern verweigerten diesen Blankoscheck für weiteres aggressives Vorgehen der EU. Daran hätte auch ein Sicherheitsrat nichts geändert. Es sei denn, man will auch die politische Geschäftsgrundlage der EU kippen was - so weiß auch Kanzlerin Merkel - angesichts von Brexit- und anderen Schwierigkeiten nicht klug wäre.
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