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Viel Schatten unterm Leuchtturm
Die Schulen leiden Not. Daran ändern konnte die Ampel-Regierung nur wenig
Ausnahmezustand herrschte in den Schulen, als die Ampel-Koalition im Dezember 2021 die Regierungsgeschäfte übernahm. Die Welle der Schulschließungen infolge der Corona-Pandemie war gerade abgeebbt, aber die Hygienekonzepte schränkten noch immer den Unterricht ein, und Corona-Aufholprogramme gab es längst nicht überall. An Normalität war nicht zu denken.
Die drei Ampel-Parteien blickten dennoch voraus und riefen ein »Jahrzehnt der Bildungschancen« aus. Das klang vielversprechend, doch Zweifel an den markigen Worten kamen auf, weil sich das Schulsystem in einer akuten Krise befand: Überall fehlten Lehrkräfte; die Kultusministerkonferenz sprach von 31 000 Stellen, die bis 2030 unbesetzt blieben. Andere Berechnungen sahen eine noch viel größere Lücke klaffen. Die Folgen sind fatal: In den Schulen fällt viel Unterricht aus, und Lehrkräfte müssen Mängel verwalten, was Stress und Mehrarbeit bedeutet. Außerdem drängen seit Beginn des Ukraine-Kriegs im Frühjahr 2022 Zehntausende geflüchtete Kinder an die Schulen. Hinzu kommt die Herausforderung, dass die schwarz-rote Vorgängerregierung im Herbst 2021 den Anspruch auf einen Ganztagsplatz in der Grundschule beschlossen hatte, der ab 2026 gelten soll. Dafür müssen an vielen Schulen noch Grundlagen geschaffen werden.
Das Ressort fiel an die FDP, und schnell fiel auf, dass die Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger Probleme hatte, sich Gehör zu verschaffen. Wichtige Diskussionen liefen ohne sie. Das zeigte sich deutlich im März 2023, als sie zu einem Bildungsgipfel nach Berlin einlud und die CDU-regierten Länder kurzerhand ihre Teilnahme absagten, sodass nur ein »Gipfelchen« übrigblieb, wie viele spotteten. Die mahnenden Worte der Ministerin, dass der Bildungserfolg nach wie vor von der sozialen Herkunft abhängig sei, verhallte ebenso wie ihr Satz: »Wir müssen das Aufstiegsversprechen in unserer Gesellschaft erneuern.«
Schulstudien zeichneten ein desolates Bild. Der IQB-Bildungstrend attestierte im Oktober 2022 eine weit verbreitete Lese-Rechtschreibschwäche bei Viertklässlern. Und die Pisa-Studie ergab im Dezember 2023, dass Deutschland bei den 15-Jährigen im internationalen Vergleich weit zurückgefallen war. Die Ergebnisse kratzen am Selbstverständnis der selbsternannten Bildungsrepublik. Der Handlungsdruck in der Politik war also gewachsen, für mehr Chancengleichheit zu sorgen. Denn vor allem die Schüler aus einkommensschwachen und bildungsfernen Familien schnitten bei den Studien schlecht ab.
Tatsächlich setzte die Ampel-Koalition eine weitreichende Maßnahme aus ihrem Koalitionsvertrag um. Im Februar einigten sich die Kultusminister auf das Startchancen-Programm, mit dem Schulen in sozial schwierigen Lagen eine besondere Unterstützung erhalten. Über einen Zeitraum von zehn Jahren wollen Bund und Länder 20 Milliarden Euro investieren. SPD-Chefin Saskia Esken sprach vom größten Bildungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik. Davon profitieren rund 4000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schüler. Die Einrichtungen sollen besser ausgestattet und der Unterricht bedarfsgerecht entwickelt werden, multiprofessionelle Teams sollen dabei helfen. Im August startete das Programm, von dem der grüne Bildungspolitiker Kai Gehring meinte, es sei der Beginn einer »Bildungswende«. Aber klar ist auch: Mit diesem Leuchtturmprojekt werden sich nicht alle Probleme in Luft auflösen.
Für zugewanderte Kinder spitzt sich die Lage nämlich gerade zu. In fünf Bundesländern gelingt es den Behörden nicht mehr, allen einen Platz in der Schule anzubieten, wie eine Umfrage des »Stern« im Mai ergab. Inzwischen warten bundesweit mehrere Tausend Kinder auf einen Schulplatz, gravierend ist die Lage in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Sachsen. Manche verlieren ein ganzes Jahr. »Diese Zeit lässt sich nicht mehr aufholen«, sagte der Bildungsforscher Aladin El-Mafaalani dem »Stern«. Diese Kinder fallen durchs Raster – und die Politik schaut bislang tatenlos zu.
Manches Mal erweckte das Bildungsministerium den Eindruck, als würde sie die Probleme nicht rechtzeitig anpacken. Woran das liegen könnte, offenbart eine Recherche des »Spiegel« im Oktober. Demnach hat Stark-Watzinger in ihrer Amtszeit mindestens 22 leitende Experten gegen Funktionäre ausgetauscht, davon mindestens 15 aus ihrer Partei. Oft handele es sich dabei um enge Vertraute der Ministerin, die zuvor nie mit Wissenschafts-, Forschungs- oder Bildungspolitik zu tun hatten. Es ist zwar üblich, dass sich Minister Gefolgsleute ins Haus holen, aber dieses Ausmaß ist ungewöhnlich. Wenn neben den Staatssekretären sieben von acht Abteilungen mit Vertrauten aus der Partei besetzt werden, dann nährt das den Eindruck, dass es nicht nur darum ging, das Ministerium bestmöglich aufzustellen, sondern die Karrieren von Günstlingen zu befördern. Zumal jede Neubesetzung Geld kostet und der Bildungsetat angespannt ist.
Für die Schulen wurde nicht alles getan, was notwendig gewesen wäre. Das ist ein Vorwurf, der die kurze Amtszeit von Bettina Stark-Watzinger überdauert.
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