- Politik
- Nach dem NSU
Das Szenario ist bekannt
Die ungenügende Aufarbeitung des »einzigartigen« NSU-Phänomens rächt sich gerade in Sachsen
Die Terrorgruppierung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) sei nicht entdeckt worden, weil es sich um ein einzigartiges Phänomen gehandelt hat. So redeten sich Geheimdienstler, Polizisten und Politiker heraus. Das Argument taugte nie, nun jedoch ist es ganz und gar ungeeignet, um die Gefahr für die Demokratie klein und sich aus der Verantwortung zu reden.
Vergleicht man die aktuelle Situation mit jener Zeit, in der der NSU entstand, stößt man auf erschreckende Parallelen. Es ging und geht den Akteuren nicht allein um den Hass auf alles aus- wie inländisch »Fremde«. Damals wie heute wollen ideologisch gefestigte rechtsextreme Terrorgruppierungen durch Gewalt einen Kontrollverlust des Staates provozieren und damit den Zusammenbruch der rechtsstaatlichen Ordnung herbeiführen. Man agiert in der Hoffnung, eine Aufstandssituation zu erzeugen.
Die beginnt mit allgemeiner, gut gesteuerter Empörung. Man will Motor sein, glaubt sich im Bunde mit der Masse der Bevölkerung, die nur zu ängstlich oder zu träge sei, um zu ihren völkischen Grundlagen zu stehen. In den 1990er Jahren, als der NSU sich bildete, wütete der Mob in Rostock-Lichtenhagen oder Hoyerswerda. Unter dem Applaus von Bürgern, die man damals in den Medien zaghaft »die Umstehenden« nannte. Angesichts der Pogrome wichen Behörden und verantwortliche Politiker zurück. Sie hebelten das im Grundgesetz verankerte Recht auf Asyl quasi aus. Der Mob bestimmte das mediale Bild des Landes in der Welt. Motto: Deutschland über alles! Die Rechtsextremisten erlebten so, dass gewalttätig ausgelebter Rassismus Erfolg bringt. Sie bekamen und nutzten die Chance zur besseren Vernetzung. Die neuen Möglichkeiten sozialer Medien lassen sie territorial hochmobil und organisatorisch flexibel walten.
An die Stelle von Rostock und Hoyerswerda sind heute Chemnitz und Freital getreten. Die dortigen pogromartigen Krawalle sind neuerliche, hochmotivierende Erfolge. Im Unterschied zu den Anfängen der »Bewegung« stehen »besorgte Bürger« nicht nur dabei, sondern reihen sich ein in »Straße-frei-Aufzüge«.
Die erschreckenden Bilder aus Chemnitz zeigen jedoch nicht alles. So sollte man sich nicht von dem waffenlosen Auftreten der Rechtsextremisten, zu denen auch Unterstützer des NSU gehören, täuschen lassen. Die terrorgeneigte rechtsextremistische Szene in Deutschland hat sich gewiss neu aufgestellt, das Konzept der Gewalt jedoch gleicht dem der 1990er Jahre. Der von »Combat 18« vertretene führerlose Widerstand ist wie zu Zeiten, in denen die NSU-Zelle von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und anderen mordete, erprobt und probat. Auch die heutigen Akteure haben sich Waffen und Material zum Töten verschafft, sie trainieren wie ehedem für den aus ihrer Sicht »rassischen Endsieg«.
Anders als zu NSU-Zeiten hat man nun jedoch eine verbale und legale, weil demokratisch legitimierte Vertretung im Rücken. Man baut auf Bewegungen wie Pegida und Parteien wie »Pro Chemnitz«, den III. Weg sowie auf immer größer werdende Teile der AfD. Bedenklich ist auch, dass Teile der Polizei, der Justiz und der Verfassungsschutz nahezu als Ganzes allzu wenig aus ihrem NSU-Versagen gelernt haben. Der rechtsextremistische Virus scheint inzwischen weit in Behörden und - siehe Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen - in deren Chefetagen vorgedrungen zu sein.
So richtig es ist, den Aufkleber »Nazi« nicht jedem aufzupappen, der in der Masse mitschwimmt, so falsch ist es, wenn insbesondere Wahlpolitiker notwendige Klarheit scheuen. Die Angst vor einem »Imageschaden« war stets ein Warnruf, mit dem verhindert wurde, dass die Wurzeln des NSU ausgegraben und gekappt werden.
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