- Politik
- »Revolution Chemnitz«
Und wieder eine rechte Terrorzelle
Gruppierung »Revolution Chemnitz« soll Anschläge rund um den Tag der Deutschen Einheit geplant haben
Es war ein Übergriff, der in der Nachrichtenlage aus Chemnitz in den vergangenen Wochen zu einer Randnotiz verkam, nach der Festnahme von sechs mutmaßlichen Rechtsterroristen nun aber wieder in den Fokus rückt. Etwas über zwei Wochen ist es her, da marschierte eine 15-köpfige selbsterklärte »Bürgerwehr« aus der Chemnitzer Innenstadt zum nahe gelegenen Schlossteich. Dort bedrohte die Gruppe zuerst eine in dem Park feiernde Geburtstagsgesellschaft. Als diese sich eingeschüchtert zurückzog und die Polizei rief, wandten sich die Angreifer einer zweiten Gruppe zu, beleidigten diese rassistisch und verletzten dabei einen Iraner mit einer Glasflasche am Hinterkopf. Dass die Neonazis offenbar noch deutlich mehr Ärger suchten, zeigte sich an ihrer Bewaffnung. Neben Quarzhandschuhen führten sie auch einen Elektroschocker mit sich. Alle 15 Rechtsradikale nahm die Polizei mit, einer der Beschuldigten, der 31-jährige Christian K., musste in Untersuchungshaft, da er bereits auf Bewährung draußen war. Jener K. ist es nun auch, den die Bundesanwaltschaft am Montag als in mutmaßlicher »zentraler Führungsposition« einer möglichen rechtsterroristischen Gruppierung namens »Revolution Chemnitz« präsentierte.
Während K. nun bereits seit zwei Wochen in Haft sitzt, nahm ein Großaufgebot der Polizei in Sachsen und Bayern am Montagmorgen weitere sechs Neonazis fest, die der Gruppe angehören sollen. Insgesamt fünf Beschuldigte sollen an dem Übergriff in Chemnitz beteiligt gewesen sein, der laut Bundesanwaltschaft als »Probelauf« für ein »nicht näher aufgeklärtes Geschehen« - so der offizielle Wortlaut der Ermittler - rund um den Tag der Deutschen Einheit am Mittwoch gedient haben soll. Was die Gruppe konkret geplant haben soll, dazu äußerte sich die Bundesanwaltschaft bis zum Montagnachmittag nicht.
Ziel der bewaffneten Anschläge sollen neben Ausländern auch politisch Andersdenkende gewesen sein. »Zu den politisch Andersdenkenden zählen die Beschuldigten den Erkenntnissen zufolge auch Vertreter des politischen Parteienspektrums und Angehörige des gesellschaftlichen Establishments«, so die Bundesanwaltschaft.
Die sieben Beschuldigten stammen aus der regionalen Chemnitzer Hooligan-, Skinhead- und Neonazi-Szene, jenen Gruppierungen also, die seit dem Tod des 35-jährigen Daniel H. Ende August wiederholt in der sächsischen Stadt gemeinsam mit der rechten Vereinigung »Pro Chemnitz«, der AfD und Pegida aufmarschierten, wobei es zu teilweise heftigen Ausschreitungen und Jagdszenen auf migrantisch aussehende Menschen sowie Gegendemonstranten kam. Fünf der mutmaßlichen Rechtsterroristen sollen am Abend des Übergriffs am Chemnitzer Schlossteich zuvor an einem rechten Aufmarsch in der Stadt teilgenommen haben. Ob sie in den Wochen davor auch an den rechten Krawallen beteiligt waren, ist derzeit noch unklar. Brutal wollte die »Revolution Chemnitz« bei ihren mutmaßlich geplanten Anschlägen zur »Überwindung des demokratischen Rechtsstaates« nicht vorgehen: Wie die Bundesanwaltschaft erklärt, hätten sich die Verdächtigen bereits um die Beschaffung von halbautomatischen Schusswaffen bemüht. Spätestens seit dem 11. September, demnach also drei Wochen nach dem tödlichen Messerangriff in Chemnitz und nur drei Tage vor der Attacke am Schlossteich, soll sich die Gruppe zusammengeschlossen haben. Bereits am 21. September leitete die Bundesanwaltschaft ihre Ermittlungen wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung ein, kurz darauf ging man schließlich von einer terroristischen Vereinigung aus.
Von einer »besorgniserregenden Meldung« spricht die sächsische LINKEN-Politikerin Kerstin Köditz. Bei der nun offensichtlich hochgenommenen Gruppe »Revolution Chemnitz« würde es sich nach der »Oldschool Society« und der »Gruppe Freital« bereits um die dritte Vereinigung von Rechtsterroristen handeln, die sich nach der Aufdeckung des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) in Sachsen gebildet habe. »Dass die neue Zelle in Chemnitz entstanden ist, zeigt auch, welche Ausmaße die rassistische Radikalisierung vor Ort angenommen hat«, warnt die Expertin für rassistische Strukturen. Köditz erinnert daran, dass Rechte in Sachsen schon einmal den Einheitsfeiertag für Anschläge nutzten. Vor zwei Jahren hatte es im Vorfeld der zentralen Feierlichkeiten zum Tages der Deutschen Einheit in Dresden Sprengstoffanschläge auf eine Moschee sowie das Kongresszentrum gegeben. Waren Polizei und Landesregierung damals zunächst fälschlicherweise von linken Tätern ausgegangen, musste sich später mit Nino K. ein Mann aus dem Pegida-Umfeld verantworten.
Zu einer ähnlichen Einschätzung wie Köditz kommt auch Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen im sächsischen Landtag. Unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse erwiesen sich die Relativierungen von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) zu den rechten Aufmärschen in Chemnitz erneut als »fatale Verharmlosung der Situation«.
Sachsens Landespolitik betonte derweil, alles richtig gemacht zu haben. Innenminister Roland Wöller (CDU) bezeichnete das Vorgehen der Behörden als entscheidenden Schlag gegen den Rechtsextremismus. Mit den Festnahmen sei klares Zeichen gesetzt worden. Um die Arbeit der Polizei künftig besser zu unterstützen, kündigte Wöller die Einrichtung einer Eingreiftruppe für Gewaltdelikte beim Polizeilichen Terrorismus- und Abwehrzentrum an, das bei Fällen politischer Kriminalität ermittelt.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.