Puzzeln mit stinkenden Euro-Scheinen

Im Mainzer Analysezentrum für beschädigtes Geld gehen jährlich bis zu 30 000 Erstattungsanträge ein

  • Christian Schultz, Mainz
  • Lesedauer: 5 Min.

Mit einer Pinzette rückt Frank Herzog einen verklebten Klumpen vermoderter Geldscheine unter ein Mikroskop. Kleine Wurzeln ranken sich darum. Lange lagen die Scheine in einem Blumentopf auf einem Balkon, irgendwo in Deutschland, wurden vergessen. Wasser und Witterung haben ihnen zugesetzt, nun hat sie der Besitzer wiedergefunden, an das Nationale Analysezentrum der Bundesbank in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz geschickt und möchte sie gerne ersetzt bekommen. Dort checken Experten wie Herzog, ob ein Anspruch darauf besteht.

In dem Zentrum unweit der Mainzer Fußballarena hat die Fachstelle der Bundesbank für beschädigtes Geld ihren Sitz. Hier kommt alles Mögliche an, seien es Geldreste, die nach einem Todesfall von den Erben in einem Keller oder auf einem Dachboden gefunden wurden oder welche, die man aus einer Hausmüll-Verbrennungsanlage herausgefischt hat. Mal kommt bei Haus- oder Autobränden in Mitleidenschaft gezogenes Geld herein, mal kaum noch erkennbare Scheine aus gesprengten Geldautomaten. Die Palette der Fälle sei riesig, sagt Herzog. «Und es steckt immer eine Geschichte dahinter.»

Einen Ersatz für beschädigte Euro- oder auch alte D-Mark-Banknoten oder Teile davon leistet die Bundesbank, wenn mehr als die Hälfte des Scheines noch vorliegt oder nachgewiesen werden kann, dass die fehlenden Teile vernichtet wurden. Doch ob tatsächlich die Hälfte erhalten ist, lässt sich in Einzelfällen gar nicht so einfach sagen.

Die Arbeit von Herzog und seinen 14 Kollegen in der Abteilung wird häufig zu einem komplizierten Puzzlespiel - Schnipsel werden in teils wochenlanger Kleinstarbeit zusammengesetzt, mal computerunterstützt, meist jedoch in bloßer Handarbeit. Immer zwei Mitarbeiter schauen sich unabhängig voneinander einen Fall an. Das mündet in eine Art Gutachten, damit am Ende alles rechtssicher ist.

Grundsätzlich gebe es drei Arten von Schäden, erklärt Herzog, der seinen Job bereits seit zehn Jahren macht. Feuer, Feuchtigkeit und mechanische Schäden, zum Beispiel durch Schredder oder Tiere. Wenn etwa ein Hund mal Scheine gefressen habe, rate man den Betroffenen: «Warten Sie 24 Stunden.» Dann komme das Material zusammen mit den Ausscheidungen wieder zum Vorschein. Entsprechend erreichten durchaus mal Sendungen mit einem Mix aus Geld und Fäkalien das Mainzer Zentrum. Auch Mäuse in Kellern knabberten Geld gerne an, sagt Herzog. «Die Tiere lieben Scheine. Sie benutzen diese zum Nestbau.»

Anträge auf eine Erstattung von beschädigtem Geld gibt es viele. Pro Jahr gehen der Bundesbank zufolge rund 30 000 in Mainz ein, sie kommen per Post von Privatpersonen oder Unternehmen oder wurden in Bundesbank-Filialen abgegeben. Die Erstattungssumme liegt pro Jahr im Größenrahmen von rund 40 Millionen Euro, wie Michael Erbert sagt. Er ist Leiter der Gruppe Beschädigtes Bargeld. Bei den meisten Anträgen drehe es sich um Beträge unter 1000 Euro. In der Regel wird ein Antrag binnen vier bis sechs Wochen bearbeitet. Ist die Sache komplizierter, gibt es Erbert zufolge nach spätestens drei Monaten einen Zwischenbescheid. Dass beschädigtes Geld - sofern die Anforderungen erfüllt sind - ersetzt wird, sei wichtig für das Vertrauen der Bürger in die Währung, sagt Erbert. Und es sei unverzichtbar für einen «sauberen Zahlungsverkehr», dass beschädigte Banknoten aus dem Verkehr gezogen und vernichtet würden.

Bei den Anträgen müssen auch geldwäscherechtliche Belange geprüft werden, so dass bei Verdacht auf eine Straftat gegebenenfalls die Polizei eingeschaltet wird. Aufmerksam werde man, wenn der Einsender einen offensichtlich falschen Grund für den Schaden angebe. So sehe Schwarzschimmel zwar etwa auf den ersten Blick aus wie ein Brandschaden. Experten sähen den Unterschied aber schnell. «Das macht neugierig.»

Herzog hat noch den Fall einer Frau im Gedächtnis, die Scheine einreichte, die angeblich zu Weihnachten von Wunderkerzen beschädigt worden sein sollten. Unter dem Mikroskop zeigte sich, dass rund um die beschädigten Stellen Mini-Metallkügelchen waren. «Das lässt auf heiße Arbeit schließen», sagt er schmunzelnd. Das Geld sei aus einem aufgeschweißtem Tresor gewesen. Die Frau habe auf Nachfrage erzählt, das Geld von ihrem Sohn erhalten zu haben. «Der bekam dann Besuch von der Polizei.»

Neben Herzogs Mikroskop am Schreibtisch befindet sich ein beweglicher Luftabzug. Denn Herzog und seine Kollegen müssen mit allerlei üblen Gerüchen auskommen. Der faulige Geruch der nass gewordenen Scheine mit Wurzelresten sei harmlos, sagt Herzog. Doch es komme auch Geld aus Portemonnaies von Leichen herein. Zudem seien viele eingereichte Scheine mit giftigen Stoffen kontaminiert, erklärt Erbert. Vereinzelt müssten die in einem hauseigenen Labor, im Extremfall mit Schutzanzug näher angeschaut werden. Allein schon eine geplatzte Farbpatrone aus dem Koffer eines Geldtransports beinhalte sehr aggressive Farbe, erklärt Erbert. «Die Sicherheit der Mitarbeiter geht bei uns vor.»

Die reine Größe der Reste verbrannter Scheine lässt nicht in allen Fällen direkt darauf schließen, um wie viel Prozent einer Banknote es sich handelt. Denn wegen der verwendeten Baumwolle schrumpfen die Scheine bei großer Hitze, wie Herzog erklärt. Also arbeitet er mit Vergleichsgrößen von Scheinen mit verschiedenen Verbrennungsgraden. Beim Identifizieren stark beschädigter Scheinreste hilft, dass beim Banknotendruck auch mit einem Stich-Tiefdruckverfahren gearbeitet wird - einem Druckverfahren, das selbst nach Verbrennungen erhabene Stellen hinterlässt. Auch auf oft übrig gebliebene Sicherheitsfäden aus einem Metall-Kunststoff-Mix achten Herzog und Kollegen. Im konkreten Fall muss er nur kurz hinschauen, schon hat er auf einem Schnipsel den Torbogen erkannt, der den gelben 200-Euro-Schein ziert. «Erfahrung ist ganz wichtig, sagt er.

Keinen Ersatz gibt es normalerweise, wenn Geldscheine vorsätzlich beschädigt wurden. So steht es in den Bestimmungen der Europäischen Zentralbank (EZB). »Das verstehen viele Menschen nicht«, sagt Erbert. Sie hätten mal mit einem Zauberer zu tun gehabt, der bei Vorführungen Scheine zerrissen und diese dann eingereicht habe. Das sei aber ein typischer Fall von Vorsatz, der Mann habe natürlich nichts bekommen.

Beschäftigt haben das Analysezentrum auch 2015 in Darmstadt an mehreren Orten aufgetauchte Geldschnipsel. Damals wurde mit dem Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK in Berlin zusammengearbeitet. Am Ende kam heraus, dass die mehr als 8000 Schnipsel zu mindestens 518 Banknoten im Wert von mehr als 89 000 Euro gehörten. Woher das Geld kam und warum es zerstört wurde, ist bis heute unklar. »Das war extrem aufwendig«, erinnert sich Erbert. Das habe daran gelegen, dass es 30 verschiedene Fundorte und eine Vielzahl von Findern gegeben habe. dpa/nd

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