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Neulich beim Nazifrauenkaffeeklatsch
Der scheinbar allmächtige Faschismus ist angreifbar: Die SF-Serie »The Man in the High Castle« geht in die dritte Staffel
Von Streamingplattformen produzierte Science-Fiction-Serien haben derzeit Konjunktur. Meist handelt es sich um eher schlecht als recht gemachte Actionspektakel in futuristischen Settings wie »Altered Carbon« oder diverse Marvel-Adaptionen. Eine angenehme Ausnahme, die nicht auf wildes Geballer und stupide Verfolgungsjagden setzt, ist die Serie »The Man in the High Castle«, die jetzt auf Amazon in die dritte Staffel geht.
Die Parallelweltgeschichte um ein faschistisches Amerika Anfang der 60er Jahre, in dem Nazis und Japaner den Zweiten Weltkrieg gewonnen und sich die USA untereinander aufgeteilt haben, wirkt erst einmal verstörend, wenn riesige Hakenkreuzfahnen im New Yorker Stadtbild zu sehen sind. Die Serie spürt sozialen, kulturellen und politischen Verhaltensweisen im Faschismus nach. Die ersten beiden Staffeln zeigten vor allem, wie sich der US-amerikanische Durchschnittsbürger im Nazireich verhält. In Staffel drei kommen durch die faschistische Herrschaft die Protagonisten nun immer mehr an ihre Grenzen, egal ob es um Homosexualität, Geschlechtergleichheit, gesundheitliche Selbstbestimmung oder Religionsfreiheit geht. Gleichzeitig wird das widerständige Potenzial antifaschistischer Kämpfe in Szene gesetzt. Denn die in Untergrundkreisen geschmuggelten Super 8-Dokumentarfilme aus einer Parallelwelt, die unsere Wirklichkeit und die militärische Niederlage der Faschisten zeigen, zirkulieren mehr und mehr und vermitteln vielen Menschen eine Grundidee revolutionärer Kämpfe: Eine andere Welt ist möglich.
Der Stoff stammt ursprünglich aus der Feder des US-amerikanischen Schriftstellers Philip K. Dick, der - obwohl seine Romane nun schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel haben - gegenwärtig immer noch zu den meistverfilmten Science-Fiction-Autoren gehört. In Dicks der SF-Serie zugrundeliegendem Roman aus dem Jahr 1962 kommt der in Staffel drei sich ausweitende Widerstand kaum vor. Bei ihm liegt der Fokus auf dem Antisemitismus der US-Amerikaner, mit dem der verlorene Krieg kompensiert wird. Die aktuelle Weiterverarbeitung von Dicks Stoff im Serienformat kann angesichts eines Rechtsrucks, der nach Donald Trumps Wahl auch gesellschaftspolitische Debatten in den USA bestimmt, durchaus als kulturindustrielles antifaschistisches Empowerment verstanden werden. Wobei dem Faschismus etwas platt unsere Wirklichkeit als die bessere Welt entgegengesetzt wird. Dementsprechend gleitet die Erzählung immer wieder in einen geradezu kitschigen US-amerikanischen Nationalismus ab, etwa wenn die Freiheitsglocke, eines der Symbole US-amerikanischer Geschichte, zu einem riesigen Hakenkreuz umgeschmolzen oder in einem Festakt die Zerstörung der Freiheitsstatue inszeniert wird.
Die Stärke der Serie liegt in der unter die Haut gehenden kleinteiligen Porträtierung der einzelnen Charaktere, die mit all ihren persönlichen Konflikten gezeigt werden, um dann wieder als bestialische Täter stramm die faschistische Pflicht auszuüben. Bürgerliche Normalität und nationalsozialistischer Gehorsam liegen stets nah beieinander. Die Serie entwirft dabei ein mitunter bizarres Panorama einer nationalsozialistischen US-Gesellschaft - vom NS-Psychiater über den Nazi-Hausfrauenkaffeeklatsch bis hin zu uniformierten Jugendlichen, die in Pogromlaune auf dem Times Square randalieren.
Aber genauso wird der Widerstand gegen die Nazis in Szene gesetzt, angefangen von der klandestinen Praxis der jüdischen Religion über das flächendeckende politische Plakatieren einer Künstlergruppe bis hin zum bewaffneten Kampf gegen das Regime. Der allmächtige Faschismus scheint plötzlich angreifbar - ob nun durch das Reisen durch Raum und Zeit in eine andere, nicht-faschistische Wirklichkeit oder indem man sich gegen diesen Alptraum mörderischer Gewaltherrschaft organisiert und zusammenschließt.
»The Man in the High Castle«, Staffel 3, ab 5.10. auf Amazon Prime.
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