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Wenn der Faschismus an die Tür klopft
Mit den Wahlen am Sonntag droht in Brasilien der Rückfall in dunkle Zeiten. Wie konnte es dazu kommen?
Und wohin wanderst du aus, wenn er gewinnt? Was sich viele Brasilianer in diesen Tagen halb scherzhaft fragen, zeugt von der Angst vor einem Mann: Jair Messias Bolsonaro. Der Politiker der ultrarechten Sozial Liberalen Partei (PSL) erregt die Gemüter im größten Land Lateinamerikas. Einmal erklärte er, dass er lieber ein toten als einen schwulen Sohn hätte. Ein anderes Mal sagte er zu einer Abgeordneten, dass sie es nicht verdiene, vergewaltigt zu werden, weil sie zu hässlich sei. Vor kurzem forderte er, politische Gegner zu erschießen und erklärte, im Falle eines Wahlsieges die UNO verlassen zu wollen. Der brasilianische Philosoph Vladimir Safatle nannte Bolsonaro einen »klassischen Faschisten«. Dennoch führt er mit fast zehn Prozent Vorsprung die Umfragen für die am Sonntag stattfindende Präsidentschaftswahl an. Wie konnte es dazu kommen?
Brasilien befindet sich seit 2012 in einer schweren Wirtschaftskrise. Millionen von Brasilianern sind wieder auf Suppenküchen angewiesen, in den Krankenhäuser fehlen Medikamente, Beamte warten seit Monaten auf ihre Löhne. Symbolhaft für den brasilianischen Abstieg steht der Brand im Nationalmuseums von Rio de Janeiro. Das geschichtsträchtige Bauwerk brannte Anfang September komplett aus, weil es kein Geld für die Instandhaltung gab. Die Wut der Bevölkerung auf die politische Klasse ist nach spektakulären Korruptionsskandalen groß. Die Hälfte der 594 Kongressmitglieder steht unter Verdacht, sich bereichert zu haben.
Bolsonaro weiß es, diese Unzufriedenheit für sich zu nutzen und sich als Anti-Establishment-Politiker zu inszenieren. Auch die schwere Krise der öffentlichen Sicherheit nutzt er geschickt aus. Im Jahr 2017 starben in Brasilien mehr als 60 000 Menschen eines gewaltsamen Todes - so viele wie nirgendwo sonst auf der Welt. Viele Brasilianer verlassen aus Angst vor Schießereien ihre Häuser nicht mehr. Da stößt der provokante Ex-Militär mit seinen Forderungen nach einer Bewaffnung der Bevölkerung oder der Einführung von Folter und Todesstrafe auf viele offene Ohren. Mitte September wurde Bolsonaro selbst zum Opfer des Hasses, den er sät. Ein geistig verwirrter Mann stach ihn während einer Wahlkampfveranstaltung nieder und verletzte ihn schwer. Nun führt er seinen Wahlkampf vom Krankenhaus aus - vor allem über die sozialen Netzwerke. Denn ähnlich wie Donald Trump verachtet Bolsonaro die traditionellen Medien und zieht durch Fake-News und Hass geschickt die Aufmerksamkeit auf seine Seite.
Der Mann, der Bolsonaro noch schlagen könnte, heißt Fernando Haddad. Nur wenige Analysten hatten dem ehemaligen Bürgermeister der Millionenmetropole São Paulo Chancen eingeräumt. Denn: Haddad ist Politiker der Arbeiterpartei PT, jener Partei also, die tief im Korruptionssumpf steckt und die von weiten Teilen der Mittel- und Oberschicht verachtet wird. Nun ist Haddad mit 23 Prozent in den Umfragen der stärkste Konkurrent von Bolsonaro. Wie ist das möglich?
Es scheint, als wäre wieder einmal die Taktik des Politgenies Luiz Inácio »Lula« da Silva aufgegangen. Der Ex-Präsident sitzt wegen Geldwäsche und passiver Korruption hinter Gittern. Für die Linke ist Lula ein »politischer Gefangener«, für die Rechte der größte Verbrecher in der Geschichte Brasiliens. Der inhaftierte Lula ließ sich so lange als Kandidat aufstellen, bis ein Wahlgericht Anfang September seine Kandidatur verbot. Danach nominierte er Haddad als Nachfolger mit dem Ziel, seine Stimmen auf ihn umzulagern. Der ehemalige Gewerkschaftsführer Lula ist gerade im armen Nordosten extrem beliebt und viele Brasilianer denken sehnsüchtig an die Jahre des wirtschaftlichen Aufstiegs während seiner Regierung zurück.
Aber Haddad scheint nicht nur von der Strahlkraft seines Übervaters zu profitieren, sondern auch von der Schwäche der anderen Kandidaten. Der konservative Geraldo Alckmin wird für viele Wähler zu sehr mit dem extrem unbeliebten Präsidenten Michel Temer in Verbindung gebracht, seine Partei gilt als zutiefst korrupt. Die Umweltaktivistin Marina Silva schwächelt mit ihrem teils widersprüchlichen Wahlprogramm wie auch bei vorherigen Wahlen auf den letzten Metern. Der Sozialdemokrat Ciro Gomes ist im Endspurt des Wahlkampfes farblos geblieben. Und die Linke? Für die PSOL, eine Linksabspaltung der PT, tritt der Stratege der Wohnungslosenbewegung MTST, Guilherme Boulos, an. Obwohl Boulos abgeschlagen auf den hinteren Rängen liegt, hat er es geschafft, eigene linke Akzente bei Themen wie Wohnraum, Indigenen-Rechte, Feminismus und LGBT-Politik zu setzen.
Dass es zu einer Stichwahl kommen wird, bezweifelt kaum jemand. Die zentrale Frage wird sein, wie sich die einflussreichen Massenmedien und Unternehmerverbände vor der zweiten Runde positionieren. Es scheint, als stießen die extremistischen Positionen Bolsonaros selbst bei der konservativen Elite auf Ablehnung. Und Haddad stimmt vor der Wahl versöhnliche Töne an. Die Devise: Kompromisse statt Klassenkampf.
Die Bevölkerung ist derweil extrem polarisiert. Trotz Bolsonaros Popularität schlägt ihm von allen Kandidaten die größte Ablehnung entgegen. Am vergangenen Wochenende demonstrierten Hunderttausende im ganzen Land gegen den Rechtsaußen-Politiker. Dennoch: Umfragen zeigen, dass Bolsonaro in einer möglichen Stichwahl mit Haddad knapp vorne liegt. Bolsonaro hat bereits erklärt, dass er »kein anderes Ergebnis akzeptieren« werde als seine Wahl. Außerdem brachte der Politiker aus Rio de Janeiro, der einen ranghohen General als Vize nominiert hat und die Folterer der blutigen Militärdiktatur als Vorbilder nennt, vor einigen Tagen ins Spiel, die Armee könne bei Fehlern einer PT-Regierung eingreifen. In Brasilien geht die Angst vor einem Putsch und dem Rückfall in eine Militärdiktatur um.
Neben dem Präsidenten werden am Sonntag auch der Nationalkongress, die Gouverneure der 27 Bundesstaaten und die Abgeordneten der Landesparlamente gewählt. Auch dort zeichnet sich ein Rechtsruck ab. Die brasilianische Linke steuert auf eine Tragödie zu.
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