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Enttäuschte Hoffnungen
Die Deutschen zwischen Weltkrieg und Revolution
Die erste gelungene demokratische Revolution in Deutschland sei nicht zu verstehen ohne Kenntnis der militärischen und politischen Niederlagen des Kaiserreichs im letzten Weltkriegsjahr, betonen Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich und Irina Renz, allesamt renommierte Erforscher des Ersten Weltkriegs. Ihr Beitrag zur deutschen Novemberrevolution von 1918 untersucht vor allem die Wirkung des Kriegsverlaufs im Jahre 1918 auf die Stimmungslage im kaiserlichen Heer und in der zivilen Bevölkerung. Sie suchen Antwort auf die Frage, warum und wie sich das Situationsbewusstsein im deutschen Heer und an der sogenannten Heimatfront veränderte - und zwar nicht nur unter Künstlern, Intellektuellen und Militärs, sondern auch bei den »kleinen Leuten«, den Soldaten und ihren Familien, in der Stadt- und Landbevölkerung.
• Gerhard Hirschfeld/ Gerd Krumeich (Hg.): 1918. Die Deutschen zwischen Weltkrieg und Revolution.
Verlag Ch. Links, 312 S., geb., 25 €.
Im einleitenden, ausführlichen Essay vermitteln die Herausgeber einen Überblick über das militärische und politische Geschehen 1918 einschließlich der ersten beiden Monate der Revolution. Der Text zeugt von der besonderen weltkriegsgeschichtlichen Kompetenz der Verfasser, die offenbar ihre für die Vorgeschichte und Geschichte der Revolution überragt.
Besonderes Interesse verdient die überzeugende Auseinandersetzung mit der Legende, die Heimat und sonderlich die Revolution habe das ungeschlagene deutsche Heer hinterrücks erdolcht. Vielmehr sei die Revolution die Reaktion einer kriegsmüden Bevölkerung auf die Weigerung der kaiserlichen Militärführung und der konservativen Eliten gewesen, endlich den Krieg zu beenden. Kriegsende und Revolution erscheinen so als zwei Seiten einer Medaille: Ohne Revolution kein Ende des Krieges, ohne die Niederlage bei Kriegsende keine Revolution.
Abgedruckt sind hier Auszügen aus Feldpostbriefen und Tagebucheinträgen, zum größten Teil bisher unveröffentlicht. Angefügt sind Erinnerungen des damals elfjährigen Sebastian Haffner an Kriegsende und Revolution. Die chronologisch geordneten Dokumente aus der Feder von rund 50 Zeitzeugen sind in vier Kapitel gefasst. Dem »Frühjahr der Hoffnungen« auf einen späten, endlich Frieden bringenden Sieg an der Westfront folgt der »Sommer der Enttäuschung« über das Scheitern der deutschen Offensive. Im »Herbst der Niederlage« reift die Erkenntnis von der Notwendigkeit, den Krieg durch Friedensschluss, Reform oder Revolution zu beenden. Der Herbst mündet schließlich in den »Winter der Revolution«. Brief- und Tagebuchtexte werden zu offiziellen Dokumenten in Beziehung gesetzt: zu militärischen Befehlen und Dienstvorschriften, regierungs- und partieoffiziellen Reden und Papieren, Auszügen aus den Waffenstillstandsbedingungen und dem Versailler Vertrag. In Minderzahl finden sich auch Dokumente aus der Geschichte der Arbeiterbewegung 1918, doch leider fehlt gerade hier Wichtiges. Gleiches gilt übrigens auch für die - im Einzelfall nicht immer fehlerfreien - Chronologien, die den Kapiteln vorangestellt sind und politische sowie den Alltag der Menschen charakterisierende und beeinflussende Ereignisse auflisten.
Den Schlussteil des Buches nimmt ein weiteres Essay der Herausgeber ein. Darin erläutern sie ihre Antwort auf die Frage, warum der Mehrheit der Deutschen das Jahr 1918 als plötzlicher Zusammenbruch und als Niederlage erschien. Sie sei durch die Heeresberichte und die mediale Öffentlichkeit bis zuletzt in der Hoffnung befangen gewesen, der Krieg werde die Opfer gelohnt haben und schließlich zu einem Verständigungsfrieden führen. Dass der Waffenstillstand in der Sache eine totale Kapitulation war, sei bereits in der Revolution beim Empfang der heimkehrenden Soldaten ausgeblendet worden. Das aber half, den Boden für die Wirkmächtigkeit der von den Militärs erdachten Dolchstoßlegende zu bereiten. Zusammen mit der Empörung über das Versailler Friedensdiktat wurde sie zu einer schweren Hypothek für die Weimarer Demokratie. Gezeigt wird, wie der Mythos vom unbesiegten Heer, das die »Novemberverbrecher« von hinten erdolchten, Gedenkkultur und Gedenkstättenwesen überwucherten und zu einer der wichtigsten ideologischen Leitsätze des Nazifaschismus wurde.
Das Buch ergänzt unsere Kenntnisse über Denken und Fühlen vieler Deutscher im letzten Kriegsjahr. Dem Anspruch jedoch, Stimmungsschwankungen und Bewusstseinssituationen der Deutschen repräsentativ aufzudecken, kann mit dem herangezogenen dokumentarischen Material nicht völlig entsprochen werden. Es dominieren Schriftzeugnisse aus der Feder von Militärs, unter denen die von Generälen und Offizieren deutlich zahlreicher sind als die von Unteroffizieren und Mannschaften. Die zweitgrößte Gruppe stellen Angehörige der künstlerischen und wissenschaftlichen Intelligenz. Nur halb so viele entstammen der Beamtenschaft und dem Mittelstand in Gewerbe und Landwirtschaft. Ein Fabrikarbeiter ist nicht unter ihnen, nur ein Musketier ist mit seinem Zivilberuf als Bahnarbeiter ausgewiesen. Diese Unwucht in der sozialen Struktur der Zeitzeugen kommt zustande, weil die Herausgeber darauf verzichteten, die bereits 1982 und 2008 analysierte Feldpost sozialdemokratischer Soldaten sowie die 2014 von Jens Ebert edierten Weltkriegsbriefe aufzugreifen.
Das Buch ist dennoch lesenswert und ein beachtenswerter Beitrag zum Diskurs über die Vorgeschichte der Revolution von 1918.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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