Frei von allen Zwängen
Fast Hollywood: »Der General und die Katze« von Nino Haratischwili
Das Beste an Nino Haratischwilis Roman »Die Katze und der General« ist der Prolog über Nura. Ein junges tschetschenisches Mädchen will der traditionellen, von Männern beherrschten Dorfgesellschaft entkommen. Sie setzt dem Getuschel der Frauen, dem Ärger mit der Mutter, ihre Eigenwilligkeit entgegen. Bestätigung findet sie bei einer russischen Lehrerin, die mit ihrem Mann als fahrende Schule durch den Kaukasus zieht. So will Nura werden, so frei von allen sozialen Zwängen. Sie will lernen und in die Welt hinaus statt dem vorgegebenen Weg in die Ödnis einer Ehe zu folgen. Haratischwili gelingt hier die überzeugende Schilderung eines Mädchens mit ihren Widersprüchen, Träumen und Wünschen in ihrem Kampf um Unabhängigkeit.
Aber Nura ist nicht das Thema. Nino Haratischwili braucht sie nur, um die Handlung ihres neuen Romans in Gang zu setzen. Mit neunzehn wird Nura von russischen Soldaten vergewaltigt und ermordet. Im zweiten Tschetschenienkrieg stirbt die achtzehnjährige Cheda Kungajewa auf ähnliche Weise in der Nähe von Grosny. Sie hat es wirklich gegeben. Und auch den Prozess gegen den Hauptangeklagten Oberst Jurij Budanow wegen Vergewaltigung und Mord 2001. Freimütig gab Budanow die Tat zu, fühlte sich aber keinesfalls schuldig. In Haratischwilis Roman dagegen will einer der Täter, Alexander Orlow, der nach der Tat »der General« genannt wird, sich der Schuld stellen. Er zeigt sich selbst an. Denn Haratischwili braucht für ihren fast 800 Seiten langen Roman einen komplexeren Charakter als den Oberst Budanow.
Orlow ist der Sohn eines hochdekorierten sowjetischen Offiziers. Nach dem Wunsch der Mutter soll er in die Fußstapfen des Vaters treten. Aber er will lieber Kunst und Literatur studieren. Doch dann meldet er sich aus Liebeskummer freiwillig nach Tschetschenien, wo er, ohne dass er es will, in die Gruppe von Männern gerät, die Nura vergewaltigen und ermorden. Danach zeigt er sich selbst an, zieht dann aber überraschend seine Aussage zurück. Ein Gerichtsverfahren ist so nicht möglich.
Aus Orlow wird ein reicher Mann. Als Kunstsammler kann er sich wieder seiner alten Leidenschaft widmen. Zusammen mit seiner Tochter Ada, die er nach der Hauptfigur aus dem Roman »Ada oder das Verlangen« von Vladimir Nabokow benannt hat, lässt er sich in Berlin nieder. Doch Ada ahnt die dunkle Vergangenheit des Vaters und versucht immer wieder, ihn zur Rede zu stellen, auch wenn er ihr in ihrer so heiß geliebten Stadt Venedig einen Palazzo kauft.
Es taucht der Investigativjournalisten Onno Bender auf, der über sie an den Vater heran kommen möchte. Doch die beiden verlieben sich. Der Vater kommt dahinter und schlägt den Liebhaber seiner Tochter fast tot. Wer aber stirbt, ist Ada - Selbstmord, aus nicht ganz geklärten Gründen. Daraufhin will sich der »General« abermals seiner Schuld stellen. Er engagiert Bender als Boten, der mit einem Video, in dem eine junge Schauspielerin aus Georgien, genannt »die Katze«, in der Rolle der ermordeten Nura nun die drei anderen Täter aufschrecken soll.
»Die Katze und der General« ist ein Roman, in dem es dramatisch zugeht. Vieles ist wie in einem Hollywoodfilm: genau so, wie man es erwartet. Gleichzeitig hapert es aber an der Plausibilität der Charaktere und der Handlung. Für Dramatik und Glamour wird erzählerisch viel zurecht gebogen. Ein Roman, von dem man sich fragt, weshalb er auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis gelandet ist.
Nino Haratischwili: Der General und die Katze, Frankfurter Verlagsanstalt, 750 S., 30 €
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