Linke Politik für lau

Kostenfreie Kita in Hessen - die Linke glaubt, sie habe das mit ihrer jahrelangen Forderung der hessischen Landesregierung abgerungen. Mag sein. Aber linke Politik ist die ewige Zurschaustellung des Kostenlosen nicht.

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Die sozialen Themen kamen besonders gut beim Publikum an. Beim Sozialgipfel der Linkspartei in Hessen sprachen der Reihe nach Jan Schalauske, Janine Wissler, Katja Kipping und Sahra Wagenknecht. Ob nun Solidarität mit Streikenden, Vorschläge gegen Mietwucher oder die Klarstellung, dass in Deutschland - und speziell in Hessen - eben nicht alles gut auf dem Arbeitsmarkt läuft: Immer dann gab es leidenschaftlichen Applaus für die jeweiligen Redner. Die soziale Frage: Sie ist und bleibt ein Dauerbrenner – und sie ist der Markenkern der Linken. Deshalb kommen die Leute auf sie zurück.

Ein bisschen irritierend hielt ich allerdings manchen Punkt der Agenda: Kostenloser Nahverkehr für alle zum Beispiel. Oder kostenlose Mittagsverpflegung für Schüler. Janine Wissler klopfte sich selbst auf die Schulter: Die hessische LINKE habe schon vor vielen Jahren gefordert, dass der Besuch der Kindertagesstätte für alle kostenfrei zu sein habe. Die Landesregierung hat das nun eingeführt im Bundesland: Eltern zahlen nichts mehr für die Kita. Das sei ein Erfolg für die Linkspartei in Hessen, verkündete sie stolz. Auch da füllte sich der Saal mit Leidenschaft. Wie bei allen anderen Kostenlos-Themen auch.

Etwas kostenfrei zu stellen: Das ist aber doch per se gar keine linke, gar keine sozialstaatliche Politik. Warum bemerkt das kaum noch jemand? Es ist nun mal kein Erfolg, wenn sich auch jene aus der Verantwortung stehlen können, die es sich leisten könnten, einen Solidarbeitrag zu zahlen. Außerdem ist es Augenwischerei: Kostenfreiheit gibt es nicht. Es ist unlauter, wenn man so tut, als sei die Gratis-Gesellschaft der ganz große Wurf eines neuen Sozialstaatsverständnisses. Bezahlt werden muss es ja dennoch.

Was die Kita-Situation in Hessen betrifft: Seit dem 1. August dieses Jahres müssen Eltern keine Beiträge mehr zahlen. Dabei ist es unerheblich, ob die Eltern Hartz IV beziehen, bei Aldi an der Kasse hocken oder Doppelverdiener im Banken- und Versicherungssektor sind. Das Einkommen ist also plötzlich gar keine Kennzahl mehr. Das sozialstaatliche Prinzip, wonach starke Schultern mehr stemmen können, als es schwache Schultern vermögen, ist also deaktiviert. Eine Härtefallregelung entfällt, weil die hessische Landesregierung plötzlich so tut, als seien alle zu Härtefällen geworden.

Dass CDU und Grüne eine solchen Coup landen, wundert ja nicht: Das ist Klientelpolitik reinsten Wassers. Man entlastet Gutbetuchte finanziell und gibt sich paternalistisch genug, auch den ganzen Rest in den Genuss der Kostenfreiheit zu verfrachten. Warum das ein linker Ansatz sein soll: Es erschließt sich nur bedingt.

Nicht anders beim Thema Schulverpflegung: Härtefallregelungen für Schüler aus Familien, die nur ein niedriges Einkommen beziehen oder gar auf Transferleistungen angewiesen sind, sind unabdingbar. Aber warum sollten es alle gratis bekommen? Ist die Gratiskultur nicht zwangsläufig immer auch an die Qualitätsfrage gebunden? Insbesondere beim Essen?

Aber eben auch bei den öffentlichen Verkehrsmitteln. Wenn der öffentliche Nahverkehr für jeden für lau zu haben ist, manövriert er sich dann nicht in eine Situation, in die er die letzten Reste des ohnehin schon schwindenden Qualitätsstandards nicht mehr gewährleisten kann?

Für Arme muss es freilich günstige Tickets geben – nicht aber für Leute, die es sich leisten könnten, auch verteuertes Fahrtgeld zu entrichten. Das nennt man Solidarprinzip: Jeder beteiligt sich nach seinen Mitteln – aber jeder beteiligt sich. In der Frankfurter Innenstadt, im Franziskustreff, gibt es für hiesige Obdachlose die Möglichkeit, an jedem Tag ein Frühstück zu bekommen.

Aber 50 Cent Eigenbeteiligung sind erwünscht. Mal drückt man ein Auge zu, wenn der Hungrige nichts aufwenden kann – aber nicht immer. Das habe etwas mit Würde zu tun, sagen die Initiatoren. Wenn der Bedürftige etwas beisteuert, sei es auch nur ein verschwindend geringes Sümmchen, so ist er nicht Bettler. Das ist kein ganz falscher Ansatz. Es hat etwas mit Würde zu tun.

Bezahlt werden muss dieses linke Politikverständnis für lau ja ohnehin. Kostenlos für alle ist nur PR. Natürlich befassen sich auch die Linken, die diese Vorstellungen pflegen, mit der Finanzierung. Warum sie aber, bei aller Reformbedürftigkeit und bei aller Notwendigkeit auch alternative Finanzierungswege zu diskutieren (Mobilitätssteuer, Stadtmaut oder Strukturabgabe), eine Freude an der Deinstallation des guten alten Solidarprinzips haben, erschließt sich mir nicht. Es ist doch schlicht ungerecht, wenn der Sprössling eines Haushalts, der 8.000 oder 10.000 Euro monatlich zur Verfügung hat, genauso behandelt wird wie ein Kind, das aus einem Hartz-IV-Haushalt stammt.

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