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Der letzte Beweis

Das 0:3 gegen die Niederlande verdeutlicht, dass Joachim Löw an seine Grenzen als Bundestrainer gestoßen ist

  • Frank Hellmann, Amsterdam
  • Lesedauer: 5 Min.

Irgendwie ähnelt die deutsche Nationalmannschaft jenen Sonnenblumen, die vor ihrem noch bis Montag bewohnten Hotel in Amsterdam in großen Kübeln an der Ecke der Amstelvlietstraat stecken. Trotz eines goldenen Oktoberwochenendes, an dem sich die ganze Stadt samt seiner Hundertausenden Touristen erfreute, sind die meisten verblüht und verwelkt. In einem strahlenden Gelb leuchtend sollen die Sonnenblumen eigentlich die Umgebung eines noch nicht fertig gestellten Viertels unweit der Amstel aufpeppen, wo noch rege gebaut wird. Das alles ergibt ein gutes Symbolbild für den deutschen Fußball: Die Pracht ist dahin. Die Köpfe hängen. Das Drumherum ist wie der Deutsche Fußball-Bund. Aber beim DFB muss sich erst noch ein Bauherr finden, der den Großauftrag vergibt. Und dann ein Baumeister, der einen Plan hat, wie das alles mal wieder beim eigentlichen Aushängeschild werden soll. Dass es in der bisherigen Besetzung bei der deutschen Nationalmannschaft eigentlich nicht mehr weitergeht, dafür hat der 0:3-Nackenschlag in der Nations League gegen die Niederlande den letzten Beweis geliefert.

Joachim Löw, der angeschlagene Bundestrainer, hat von einer »brutal enttäuschenden Niederlage in der Höhe« gesprochen. Seine Mannschaft erlebte keine drei Monate nach dem WM-Desaster ihr Déjà-vu-Erlebnis. Vieles erinnerte an das 0:2 im letzten Gruppenspiel gegen Südkorea: vorne erst die Torphobie und hinten am Ende offen wie ein Scheunentor. Dazwischen fehlten Tempo und Esprit. Die zarten Zeichen der Besserung beim vermeintlichen Neustart gegen Frankreich (0:0) und Peru (2:1) sind nur einen Monat später schon wieder Makulatur.

Zu beklagen war ein kollektiver Systemausfall, den der 58-Jährige in dieser Höhe zuletzt 2007 erlebte - in einem unbedeutenden EM-Qualifikationsspiel gegen Tschechien. Diese Abreibung kommt für den Bundestrainer zur Unzeit, denn immer mehr werden die Kritiker, die infrage stellen, ob der Südbadener wirklich noch der richtige Mann für die Neuausrichtung ist. »Wir stehen alle in der Verantwortung, ich als Trainer zuallererst«, räumte er ein. DFB-Präsident Reinhard Grindel übermittelte am Sonntag, dass man jetzt zusammenstehen müsse: »Dass der Weg unserer Mannschaft nach der WM auch Rückschläge mit sich bringen kann, war uns allen klar. Umso wichtiger ist es, jetzt gemeinsam auf und neben dem Platz als ein Team zusammenzustehen.« Die typische Durchhalteparole, mit der sich Grindel in schlechtester Politikermanier alle Optionen offen hielt. Entlassung Löw inklusive.

Grindel weiß: Im DFB-Präsidium sitzen weitere Skeptiker und Zweifler. Bei der Sitzung am kommenden Freitag, auf der der für die Nationalmannschaft und die Fußballentwicklung zuständige Direktor Oliver Bierhoff ohnehin von der DFB-Elf berichten wollte, dürfte das Thema breiteren Raum einnehmen. Dass mehrere Mitglieder in der Trainerfrage dafür plädieren, den Daumen zu senken, sollte im neuen Wettbewerbsformat ein Abstieg aus der A- in die B-Kategorie zu beklagen sein, gilt als sicher.

Bezeichnend, dass Löw die vom Dolmetscher aus dem Englischen übersetzte Frage, ob dies eines seiner letzten Länderspiele gewesen sei, nicht verstand. »Für mich, oder was?«, fragte er fast entgeistert. Sodann regte er einen Platztausch an, denn dafür sei er der falsche Ansprechpartner. Er habe nicht vor, aufzuhören. »Not at the moment.« Aber die Sachlage könnte bald eine andere sein: Das Auswärtsspiel am Dienstag beim Weltmeister Frankreich besitzt auf einmal den Status eines Entscheidungsspiels. Wenn sein Team sich im Stade de France apathisch der Spielkunst eines Antoine Griezmann, der Kampfkraft eines Paul Pogba und den Fähigkeiten eines Kylian Mbappé ergibt, dann kommt vielleicht auch der angeblich wieder geerdete Genussmensch zur Erkenntnis, dass es mehr als nur kosmetische Änderungen braucht. Allerspätestens das Rückspiel gegen die Niederlande am 19. November wird über Löws Zukunft entscheiden. »Ein Abstieg aus der Nations League ist nicht wünschenswert«, gab er pflichtgemäß zu Protokoll. »Wir müssen alles, was auf uns einprasselt, ausblenden. Wir müssen Charakter zeigen.«

Aber es braucht mehr als nur Leidenschaft, Kampf und Einsatz. Es wäre gut, wenn diese Mannschaft mal wieder mit Netz und doppeltem Boden agiert, was schon im merkwürdig schöngefärbten Freundschaftsspiel gegen Peru nicht gelungen war. Auch im 4-3-3-System greifen die Automatismen nicht, und es stimmt die Balance nicht. »Die richtige Ausgewogenheit ist das Schwierigste im Fußball überhaupt«, hatte der Bundestrainer zuvor gesagt, aber ewig Zeit hat in diesem Metier kaum noch jemand. Auch er ist diesen Nimbus längst los - und daran ist er selbst schuld. Noch immer baut der Weltmeistertrainer von 2014 auf eine Achse, die längst brüchig ist. Den 27-jährigen Debütanten Mark Uth anstelle des aufstrebenden Leroy Sané aufzustellen, wirkte irritierend. Damit sendet die sportliche Leitung an die junge Garde die völlig falschen Signale.

Erschwerend scheint auch die fehlende Einsicht der Arrivierten. Es erlaubte sich nur der mit Sané zu spät eingewechselte Julian Draxler, obwohl an den finalen Gegentreffern mit zwei Ballverlusten entscheidend beteiligt, einen kritischen Ansatz: »Es ist die große Frage, warum wir es mit dem Spielermaterial nicht schaffen, attraktiven Fußball zu spielen. Mir persönlich geht das zu langsam, und es ist zu berechenbar. Es fehlen die Überraschungsmomente, die Ideen, die Risikobereitschaft. So können wir nicht weitermachen.« Zur unweigerlichen Frage, ob er damit nicht die Trainerdiskussion eröffnet habe, antwortete der 25-Jährige nur: »Dazu äußere ich mich nicht.«

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