Justizposse im Bankeninteresse

Spanischer Gerichtshof zieht eigenes kundenfreundliches Urteil zurück

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 3 Min.

Millionen spanische Familien freuten sich, als sie am Donnerstag von einem verbraucherfreundlichen Urteil des Obersten Gerichtshofes erfuhren: Sie sollten demnach jeweils einige tausend Euro von ihren Banken zurückerhalten, weil diese widerrechtlich Notargebühren für Hypothekenkredite kassiert hatten. Es handelt sich um eine Art Stempelsteuer, die zwischen 0,5 Prozent (Baskenland) und 1,5 Prozent (Valencia, Extremadura, Galizien und Murcia) der »Haftungssumme« betrug. Diese beträgt teilweise das Doppelte der Kreditsumme.

Die Kosten wurden über viele Jahre den Kreditnehmern aufgezwungen, obwohl nur die Banken von der notariellen Beurkundung profitieren. Sie können damit zum Beispiel im Falle eines Kreditausfalls die Zwangsräumung durchsetzen. Der Oberste Gerichtshof, der in früheren Urteilen Klagen von Kreditnehmern zurückgewiesen hatte, sah dies diesmal genauso und verurteilte die Bank dazu, die Kosten zurückzuerstatten. Nach Auffassung von Verbraucherschützern könnten betroffene Bankkunden nun bis zurück ins Jahr 2014 die Steuer einfordern.

Bankaktien stürzten daraufhin ab, da laut Schätzungen auf die Kreditinstitute Rückzahlungen von 20 bis 30 Milliarden Euro zukommen werden. Damit könnten erneut in Spanien Banken in Schieflage geraten. Die knabbern zudem noch an den Folgekosten eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), das Entschädigungen für Bankkunden verlangte, da ihnen unrechtmäßig hohe Zinsen bei Hypothekenkrediten abgeknöpft worden waren.

Angesichts des neuen Urteils schrien die spanischen Banken auf und der Ruf wurde tatsächlich vom Obersten Gerichtshof erhört. Bereits am Freitag trat plötzlich der Präsident der zuständigen 3. Kammer, Luis María Díez-Picazo, vor die Kameras und verkündete: Mit diesem Urteil sei keine neue Rechtsauffassung entstanden. Es sei wirkungslos für »ähnliche Fälle«. Díez-Picazo begründete dies mit den »enormen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen«, wenn Millionen Familien Geld zurückerstattet würde.

Kritiker wiesen darauf hin, dass viele Betroffene das Geld für dringende Anschaffungen benötigen. Dies wäre zudem ein Schub für die schwache Binnennachfrage. Doch Díez-Picazo sorgt sich offenbar nur um die Bankenstabilität. Nun sollen alle 31 Richter der Kammer, auch wenn diese gar nicht mit der Materie vertraut sind, auf einer Eilsitzung entscheiden, ob die Steuer weiter den Familien oder doch den Banken aufgebrummt wird. Da auch die Regierung kein Interesse an einer neuerlichen Bankenschieflage haben dürfte, kann angesichts der wenig unabhängigen spanischen Justiz vorausgesagt werden, dass vermutlich wieder die Verbraucher das Nachsehen haben.

Die Argumentation mit gefährlichen »makroökonomischen Auswirkungen« hatte die Regierung schon einmal gebracht, als der Oberste Gerichtshof Verbraucherrechte wegen der zu viel gezahlten Zinsen aushebeln wollte. Allerdings fuhr dem Vorhaben der EuGH in die Parade, der die Rechtsauffassung der Regierung wieder einkassierte. Womöglich wird nun auch im jetzigen Fall der EuGH ein juristisches Machtwort sprechen. Bis dahin werden allerdings Jahre vergehen. Millionen Kunden würden Geld verlieren, da die Rückforderung nur vier Jahre umfassen kann.

Die Vorgänge am Obersten Gerichtshof schlagen indes heftige Wellen in der spanischen Öffentlichkeit, wo kritisch gefragt wird, wie unabhängig die Justiz eigentlich ist. Auch die Zeitung »El País«, die der sozialdemokratischen Minderheitsregierung nahe steht, spricht von »Chaos« und »Schlamassel«, in die sich der Gerichtshof selbst gestürzt habe. Für solch »außergewöhnliche« Vorgänge gebe es keine Präzedenzfälle. Die »Richter für die Demokratie«, ein kritischer Juristenverband, halten es für »nicht tolerierbar«, dass ein Urteil, das Rechte der Bürger schütze, für die Interessen der Banken erneut geprüft werde. Dem schließen sich Verbraucherschutzorganisationen an: Sie sprechen von einem »Skandal« und einem »unverständlichen Fiasko«.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.