Neue Raumdeutung

Thomas Müller erlebt beim FC Bayern und im Nationalteam schweren Zeiten. Er beschwert sich nicht

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Natürlich sind das Bilder, die Debattenstoff bringen: Wenn die Fernsehkamera die Gesichter von Thomas Müller, Jerome Boateng und Franck Ribery einfängt, die in blauen Reservistenleibchen einträchtig nebeneinander auf der Ersatzbank sitzen. Als Trio infernale ohne Verwendung beim FC Bayern. Ihre gemeinsame Spielzeit beim Auswärtssieg gegen den VfL Wolfsburg (3:1) betrug: null Minuten. Für Niko Kovac steckte dahinter keine Gemeinheit: Als Trainer des FC Bayern habe er nun mal lauter Nationalspieler in seinem Kader, und wenn er sich mal für »diese Jungs« entscheide, gemeint waren Niklas Süle und Serge Gnabry, sei das »keine Sensation, sondern normal«. Kovac: »Es spricht nicht für die einen oder gegen die anderen.«

Für die nächste Aufgabe in der Champions League am Dienstagabend beim griechischen Meister AEK Athen kündigen sich Veränderungen an, auch wenn der französische Altstar Ribery wegen einer Wirbelblockade ausfällt. Denn der Coach will zwingend rotieren: »Es geht einfach nicht, vier, fünf, sechs Wochen lang jeden dritten Tag auf diesem Niveau zu spielen.« Bemerkenswert bleibt, dass sich erst der Bundestrainer und dann der Bayern-Coach in einer eigenen Drucksituation gegen den eigentlichen »Unterschiedspieler« Müller entschieden.

Weitere Parallele: Genau wie Dienstag nach dem Länderspiel in Paris stellte sich der prominente Bankdrücker auch nach dem Bundesligaspiel am Sonnabend in Wolfsburg dem Verhör. »Ein Trainer braucht nicht immer alles zu begründen. Wir haben einen sehr breiten Kader. Der Trainer hat aufgestellt, wir müssen schauen, dass wir die Einheit, die wir sein wollen, auch ausstrahlen. Es gibt keinen Grund, negative Stimmen zu äußern«, sagte der 29-Jährige. Wohl wissend, dass er das von den Bayern-Bossen am Freitag wortgewaltig beschworene Zusammengehörigkeitsgefühl konterkariert hätte, wenn er am Tag danach persönliche Beschwerden geführt hätte. Nebenbei bringt es Sympathiepunkte, wenn Stars sich in ihrem Ego zurücknehmen.

Präsident Uli Hoeneß hatte es als das größte Problem für den Trainer bezeichnet, dass »die Spieler, die nicht spielen, sauer sind«. In Diktion des polternden Patriarchen: »Das ist auf Dauer viel leistungstödlicher, als wenn er einen jungen Spieler in den Kader nimmt.« So überwölbt die Frage die nächsten Münchner Wochen, ob der Verzicht auf einen der größten Spaßmacher der Liga nur eine Momentaufnahme ist oder sich zum Dauerzustand ausweitet.

Der lustige Herumtreiber galt lange als verlässlicher Retter, der sich überall und nirgends auf dem Spielfeld blicken lässt - um dann irgendwann irgendwo irgendwie ein wichtiges Tor zu erzielen. Die Quoten in der DFB-Auswahl (98 Länderspiele/38 Tore) und der Bundesliga (293/ 106) sprechen für sich. Und auch die Bilanz in der Champions League (101/42) ist beim bayerischen Unikum ja nicht so schlecht. Doch in dieser Saison hat es nur je einmal an den ersten beiden Spieltagen gemüllert.

Dass den schlitzohrigen wie beliebten Oberbayern, für den Verein noch viel mehr Identifikationsfigur als fürs Nationalteam, der Instinkt bisweilen verlassen hat, ist offenkundig. Die »Müller spielt immer«-These eines Louis van Gaal hatte vor einem Jahr schon Carlo Ancelotti ohne Ankündigung kassiert, was dem Italiener größere Schwierigkeiten bescherte, als ihm lieb sein konnte. Aber spätestens als Jupp Heynckes zurückkehrte, konnte sich Müller der alten Wertschätzung sicher sein. Letztlich brachte er es in der Vorsaison pflichtspielübergreifend wieder auf 33 Scorerpunkte. Und auch für die WM war Müller gesetzt, schließlich kam er als derjenige nach Russland, der bei seinen ersten beiden Weltmeisterschaften 2010 und 2014 je fünfmal getroffen hatte. Doch seine dritte WM geriet zum Reinfall, der Formverfall wirkte besorgniserregend.

Es spricht nicht gegen Löw, so lange wie möglich am verdienten Leistungsträger festgehalten zu haben, doch gegen Frankreich konnte jeder im Stade de France sehen, wie wichtig Tempo für die Offensive ist. Und da sind Klubkollege Gnabry, der Leipziger Timo Werner und Leroy Sané von Manchester City einfach auf flotteren Füßen unterwegs. Als Außenangreifer sieht sich Müller ohnehin nicht mehr, was zum Kardinalproblem neben der verlorenen Leichtigkeit führt. Das 75-Kilo-Leichtgewicht ist im Laufe der Karriere fast zu universell geworden, um nun auf einen festen Platz zu pochen.

Kovac sieht in seiner Nummer 25 einen Mittelfeldspieler, aber da sind Thiago und James Rodriguez spielstärker. Genau wie neuerdings Löw setzt Kovac auf einen festen Sechser, dem zwei flexible Achter zur Seite stehen. Ballsicherheit wird in diesen Systemen wichtiger als Raumdeutung - die vielleicht wichtigste Waffe des Schleichers mit den dünnen Beinen. Dass Kovac schmunzelnd anmerkte, er habe sich in heiklen Personalfragen mit Löw abgesprochen, könnte Thomas Müller irgendwann noch als schlechten Scherz auffassen.

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