Das Problem ist nicht die Rolex. Sondern das System

Hinter der oberflächlichen Rolexdebatte liegt ein echtes Problem

  • Alina Leimbach
  • Lesedauer: 3 Min.

»Alles was man zum Zustand der Sozialdemokratie wissen muss«, so kommentierte Nutzer Martin Schauerte ein rund vier Jahre altes Bild der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli. Worauf er anspielt: Die fast 8.000 Euro teure Rolex am Handgelenk der SPD-Frau.

Der Shitstorm daraufhin: Enorm. Es regnete zahlreiche Vorwürfe, wie Sozialdemokraten so eine Protzuhr tragen können. Aber auch Angriffe bis ins Persönliche. Unabhängig von der Uhr wird Chebli als Dummchen und Fehlbesetzung dargestellt. Der »Stern« lässt sich sogar dazu hinreißen in seinem Onlineauftritt vom »PR-Desaster« für eine »Partei im freien Fall« zu schreiben.

Dass die Aufregung über die Uhr der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli so groß wurde, liegt zweifelsfrei daran, dass Chebli eine Frau ist. Eine Frau, die sich zudem zu wehren weiß und polarisiert. Es liegt ziemlich sicher auch daran, dass sie Migrantin ist, denn die Kategorie »Protz«, die lässt sich so viel schneller an Zuwanderer*innen kritisieren. Doch es gibt noch einen dritten Grund, der durch die persönlich an Chebli gerichtete Kritik und die unsägliche Form dieser Debatte überlagert wird.

Denn diese grenzenlose Wut gilt nicht nur Chebli. Sie gilt unterschwellig unseren Zuständen. Zwar richten sich die Kritiker mit ihrer Luxuskritik an »die da Oben«. Die, die so viel Kohle haben, dass sie sich eine Uhr im Wert eines gebrauchten Kleinwagens leisten können. Doch diese Kritik an denen »da Oben« trägt auch ein Wehklagen über »die Zustände da Unten« in sich.

In die Position zu kommen, eine Rolex zu tragen, das halten viele für unrealistisch. Und ist es auch. Das von der SPD versprochene Aufstiegsversprechen für die Massen ist ein Mythos. In Deutschland noch mehr als in anderen Ländern ist der Werdegang stark von den eigenen Eltern abhängig. Die berufliche Karriere gelingt vor allem denjenigen, die ohnehin schon aus gutem Hause kommen, das bescheinigen immer wieder Studien. Erst kürzlich war es ausgerechnet eine Auswertung vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) die bilanzierte, dass Herkunft und eigene gesellschaftliche Stellung noch stärker als bislang angenommen zusammenhängen. Teilweise bis in die Großelterngeneration. Dazu kommt: Migrant*innen sind doppelt benachteiligt. Ihnen gelingt dieser Aufstieg noch einmal seltener. Da ist das hochselektive Bildungssystem, da sind die diskriminierenden Stereotype, die Ausbilder, die »Malte« viel eher als »Ali« einstellen. Nur die wenigen schaffen es nach Oben.

Dazu kommt: Was heute unten ist, ist noch einmal prekärer dran als vor zwanzig Jahren. Das Wohlstandsversprechen an sich, es gilt für Teile der Gesellschaft nicht. Mit Hartz IV gibt es eine »Grundsicherung«, die unter der Armutsgrenze liegt. Nicht einmal der Mindestlohn bietet wirklich sicheren Schutz vor prekären Verhältnissen. Und wer Vollzeit arbeitet, hat längst keine zwangsläufige Sicherheit mehr auf eine ausreichende Rente. Dafür befeuerte »soziale Hängematte«-Rhetorik noch einmal den Konkurrenzdruck.

Chebli ist der seltene Aufstieg gelungen. Damit steht sie, und vielleicht auch ihre Rolex, exemplarisch für das, was eigentlich auch ihre Partei, die SPD, verkörpert. Ein Aufstiegs- und Wohlstandsversprechen. Die geäußerte Entrüstung zielt damit vielmehr auf die SPD selbst. In der Regierung stößt sie mit dem Arbeitsministerium zwar allerlei Reformen an, die Grundprobleme – Hartz IV, niedrige Rente und zu geringer Mindestlohn, oder Ungleichheit im Bildungssystem – werden jedoch liegen gelassen.

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