Pop »in Geil«

Das »Missy Magazine« wird zehn Jahre alt.

  • Samuela Nickel und Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 5 Min.

Musiksender wie MTV und Viva sind eingestellt oder in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Ähnlich geht es den Zeitschriften: »Spex« macht dicht, »Rolling Stone« und »Musikexpress« sind nur noch Schatten ihrer selbst, »Groove« und »Intro« schon ganz aus den Regalen verschwunden. Was 2008 noch krasser Mainstream war, gibt es zehn Jahre später nicht mehr. Allerdings ist genau in ebenjener Zeit etwas Neues zwischen Populärkultur und Politikseminar entstanden: das »Missy Magazine«.

2008 gründen Chris Köver, Stefanie Lohaus und Sonja Eismann die »Missy«. Bis 2010 erschien das Heft mit dem Untertitel »Popkultur für Frauen«, mittlerweile heißt es »Magazin für Pop, Politik und Feminismus«. In den zehn Jahren hat sich nämlich auch einiges geändert bei der Zeitschrift: Füllte sie Ende der nuller Jahre noch eine Nische zwischen sogenannten Frauenzeitschriften, die vor Stereotypen nur so strotzten, und Fachzeitschriften, die überwiegend weißen Männern das Musikmachen zutrauten, ist die »Missy« heute mittlerweile unter Gleichgesinnten.

Das »F-Wort«: Genau darin lag die Sprengkraft der ersten Hefte. Damals galt der Begriff doch schon als überholt, aber genau da setzten die Macher*innen auch an: Der Feminismus war noch lange nicht erledigt und schon gar nicht überholt. Im Gegenteil: Er ging nicht weit genug. »Vom engstirnigen Feminismus, wie ich ihn kannte, hatte ich mich seit der Schulzeit abgewandt. Doch 2008 wurde mit der ›Missy‹ ein inklusiver Feminismus etabliert, eben Feminismus in Geil, der mich wieder zur Feministin werden ließ«, schreibt Mirjam Klesemann, inzwischen Bildredakteurin des Magazins, in der Jubiläumsausgabe. Dieser »neue« Feminismus hatte nicht nur alternative Positionen zu Sexarbeit, reproduktiver Selbstbestimmung oder Pornografie parat, er war sogar sex-positiv und queer. Die Zeitschrift ist nicht für Frauen, sondern für Frauen* und alle weiteren definierten und undefinierten Geschlechter. Findet Mode in der »Missy« statt, dann beispielsweise als Clit-Couture von Lady Bitch Ray im »Fuck NSU«-Trikot.

Dennoch ist das »Missy Magazine« ein Kulturheft geblieben. Auf dem allerersten Cover war die Sängerin Soap & Skin abgelichtet und ihr folgten weitere Künstler*innen. »Vieles von dem, was mir in meiner damals noch von mehrheitlich deutschen linken Männern gemachten deutschen linken Zeitung fehlte, fand ich darin«, schreibt die »Jungle World«-Redakteurin Federica Matteoni. Viele waren zu der Zeit angeödet von dem üblichen haltungslosen Kulturgeschreibsel und verärgert, dass Musiker*innen, die sie feierten, kein Medium fanden. Die »Missy« ist da als eine Art Fanzine aufgetaucht: Die Journalist*innen haben einfach angefangen, selbst zu schreiben über Musik, die sie interessiert, und Diskriminierungen, die sie erleben. Und sie bringen das Magazin im Selbstverlag heraus - die Gründerinnen sind sowohl Herausgeberinnen als auch Redaktion.

Nun ist die »Missy« und ihr »Feminismus in Geil« schon zehn Jahre alt geworden. Nicht nur die Ansprüche an ein Popmagazin haben sich in der Zeit gewandelt, auch jene an ein Medium, das sich feministisch nennt. Und auch die »Missy« wurde im Laufe der Jahre politischer: 2018 scheint der Feminismus generell mehr »im Trend« zu sein als noch vor zehn Jahren: Beyoncé ist Feministin, Emma Watson auch, die ganze Welt redet über MeToo und bei H & M kann man sich für 14,99 € zur Feminist*in shoppen. Auch die »Missy« konnte ihre Auflage in den letzten zehn Jahren von 15 000 auf 25 000 Exem-plare steigern. Aber wie viele andere Printmedien steckt auch die Zeitschrift in finanziellen Schwierigkeiten. Die Anzeigen sind in den letzten Jahren zurückgegangen, jüngst musste das Magazin die Finanzierung durch eine Crowdfunding-Kampagne retten.

Dass dies gelang, ist wichtig, denn nicht zuletzt seit der Silvesternacht 2015/16 in Köln konnte der seit jeher in der BRD vorhandene Rassismus, nun im Feminismus-Deckmantel, lauthals herauskrakelt werden. Dass Konservative und Rechtspopulist*innen in einer eindimensional geführten Islamdebatte auf den vermeintlich feministischen Zug aufsprangen, um beispielsweise Asylrechtsverschärfungen voranzutreiben, macht wütend. Dass es mit der »Missy« aber eine Stimme gibt, die zeigt, dass Feminismus auch antirassistisch funktioniert und nur so funktionieren kann, ist umso bedeutsamer. Nicht nur Patriarchat und sexistische Strukturen werden in der »Missy« kritisiert und persifliert, sondern auch die Rechten, die weltweit menschenrechtliche Errungenschaften wieder abschaffen.

Wie hat die Zeitschrift diese Erweiterung in den letzten Jahren geschafft? Für die Aktivistin und Autorin Noah Sow ging »Missy« den Fragen von Ausschlüssen und (fehlender) Repräsentation im weiß dominierten Feminismus nach. Indem sie Raum für verschiedene Feminismen öffnete und jene zen-trierte, die zuvor in den Debatten gefehlt hatten. Damit hat sie ihre feministischen Themen auch für migrantisierte Frauen* und People of Color in Deutschland geöffnet, also für all jene, die neben und mit ihren Kämpfen gegen Rassismus in feministischen Kontexten zuvor kaum Raum fanden. Heute benennt die Zeitschrift häufige Leerstellen im feministischen Mainstream und grenzt sich deutlich von dem ältesten feministischen Magazin Deutschlands ab, der 1977 von Alice Schwarzer gegründeten »Emma«. Denn Feminismus denkt das »Missy Magazine« intersektional, will damit Geschlecht nicht als einzige Unterdrückungskategorie betrachten, sondern auch dessen Überschneidungen mit anderen Diskriminierungsformen. Die historischen Wurzeln der Intersektionalitätstheorie liegen in den Erfahrungen schwarzer Frauen in den USA, die sich im Feminismus weißer Mittelschichtsfrauen nicht wiederfanden. In Anlehnung an eine Straßenkreuzung (englisch: intersection), an der sich Machtwege überschneiden, soll so die Verwobenheit sozialer Ungleichheiten illustriert werden.

Dass Sexismus und Rassismus mit der Unterdrückung durch ein ungerechtes Wirtschaftssystem zusammenhängen, könnte im »Missy Magazine« noch ein wenig mehr Beachtung finden. »Manchmal wünscht man sich mehr Politik, mehr Kommunismus in ›Missy‹«, schreibt Hannah Schultes, Redakteurin bei »analyse & kritik« zum zehnten Jubiläum des Magazins. Die »Missy« hat das Zeitschriftenregal aufgemischt. Hoffentlich macht sie noch viele weitere Jahre Stunk.

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