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Samstags an der Kasse
Uli Hoeneß als Gast in Gregor Gysis Gesprächsreihe am Deutschen Theater Berlin
Gysi ist rücksichtslos - offen. Gesinnung? Ist ihm kein hemmendes Enzym. Er mag Dispute mit politisch, sozial Fernen - nicht, um zu siegen, sondern wegen des Gewinns. Eigener Wahrheitsbesitz ist wie Ballbesitz beim Fußballspiel: Er ist nicht das Entscheidende. Just Fußball kam am Sonntag ins Spiel: Gregor Gysi hatte Uli Hoeneß zum Gespräch ans Deutsche Theater geladen. Im Anfangsbeifall ein einziges bellendes »Buh!«
Das Leben stellt nur diese eine Frage: Geld oder Liebe? Die Kunst sagt: Liebe. Mit Kunst, sagt Hoeneß, ist er kaum aufgewachsen. Ein bisschen Geschichte hat er studiert, wirft die Arme hoch, rezitiert lateinisch den Mord an Cäsar. Sticht in die Luft. Metzgersohn eben. Er und die Musen - eine flüchtige Beziehung. Nach Hause, Ranzen weg, her den Ball! Der Vater weckte den Jungen jeden Morgen halb sechs: Waldläufe vor Schulbeginn, kindheitslang. Bis das Ziel stand - hundert Meter in elf Sekunden! Mutter stand im Laden, »ich, mit zehn Jahren, stand samstags an der Kasse«. Lebens Ort, wo Hoeneß noch immer steht.
Er erzählt vom Aufbau der eigenen Nürnberger Wurstfabrik, es klingt wie der Report von großem Gründertum, von Gespür und Geschick, von Geld, wie es sinnlich macht. Hoeneß schillert. Schillern ist mehr als glänzen. Legendär diese Erscheinung: giftig und gemütlich, visionär und altmodisch, knallhart und väterlich, charmant und scharf. Und Bayern München als das einzige bundesligistische Paradies - mit angeschlossener Hölle. Der 1952 geborene Ulmer ist einer der Erfolgreichsten des Fußballs: Weltmeister, Europameister, Weltpokalsieger, je dreimal Europacupsieger und deutscher Meister. Und dann gibt ihm die rücksichtslose Fügung lediglich fünf Jahre einer schmerzfreien Profilaufbahn; der Rest: vier Spiel-Zeiten lang Flickwerk am Kniegelenk.
»Ich hatte trotz Unglück Glück im Leben, und ich wollte zurückgeben.« Hoeneß hat der sozial abgestürzten Stürmer-Legende Gerd Müller und anderen wieder in den existenziellen Halt geholfen, und Bayern München ist stets auch Bayern Benefiz gewesen: St. Pauli, Magdeburg, Chemnitz, Rostock, Cottbus, Union Berlin. Er spricht vom »Never-come-back-Konto« des Klubs. »Das Gute an einem Geschäft ist immer der Gewinn, der es ermöglicht, ein Gebender zu sein. In der Gesellschaft gibt es Solidarität und Dankbarkeit kaum noch.« Aber der Sport arbeitet daran doch mit! Der Ball blieb rund, das Geschäft wurde immer scharfkantiger, und Hoeneß war Pionier - durch ihn sind Unternehmen und Vereine in Deutschland eine Symbiose eingegangen. »Die Vereinstreue ist nicht raus aus den Stadien, die hat einen enormen Lebensnerv. Aber die Kapitalisierung, die ist schon ein Elend. Ich dachte immer, irgendwann ist die Spiraldrehung am Ende - ich habe mich geirrt.«
Jahrzehnte war er Manager, ist jetzt Präsident des Klubs. Ein Letzter seiner Art. Pate. Tycoon. Falstaff. Ein Temperamentsverschwender mit Dagobert-Duck-Talent. »Trainer wollte ich nie werden, mich interessierte die Verbindung von Wirtschaft und Sport.« Der FC Bayern wurde wesentlich durch ihn zu gelingendem Kapitalismus - so wie jeder gute Hollywood-Film gelingender Kapitalismus ist, und gelingender Kapitalismus hat hohen Unterhaltungswert. Noch die Krisen des Vereins bieten mehr Stoff als anderer Mannschaften lauwarme Arbeitssiege. Kapital nagt am Charakter? Neid noch mehr. Welch ein Talent, die Welt in zwei Teile zu hauen. Liebe und Hass, Pro und Kontra - der FC Bayern ist der letzte Auslöser ideologischer Kämpfe. Revoluzzer träumen von so was - und rennen ziemlich müde über ihr Spielfeld.
Das Gespräch bestätigt: Da sitzt ein Leitwolf, bei Niederlagen ein Leidwolf, nie aber ein Ligthwolf. Eminenz, die im Stadion nichts Graues hat, sondern regelmäßig die Glutfärbung des Bluthochdrucks. Die Elf auf dem Platz kämpft im Schweiße ihres Angesichts, das Uli Hoeneß gehört. Stockbayrisch hochgemut, knochenhart ortsfest. Gysi zitiert Mehmet Scholl: Bei Hoeneß wolle er »Spieler, Ehefrau oder Hund sein«, Reporter Waldemar Hartmann meinte, dieser Manager sei der Einzige, »der dem Papst sogar ein Doppelbett verkauft«. Javier Marias, der spanische Schriftsteller, bezeichnet Hoeneß als »letzten Kaufmann mit Seele, dem man nie übelnähme, wenn er statt von Menschen von Einkäufen redete«. Einmal, so Gysi, habe die Juniorenmannschaft der Bayern im Bus lange auf ihren Kapitän Uli gewartet. Der Junge wird bei den Angestellten gefunden, »ich habe ihnen klargemacht, dass sie unterbezahlt seien und also unbedingt mehr Lohn fordern müssten«.
Vor vielen Jahren hat Hoeneß als Einziger von vier Insassen einen Flugzeugabsturz überlebt. Da er während der Katastrophe schlief und erst im Krankenhaus aufwachte, erlitt er das Unglück also nicht bewusst und konnte fortan mit ungetrübtem Gemüt weiter fliegen. Gysi meint, das müsse doch seinen Glauben gefestigt haben. Ein Wurstfabrikant mit metaphysischer Tuchfühlung? Hoeneß verzichtet auf Pathos, er nuschelt sozusagen ein Schweigen - als wolle er sagen: Ist nicht wichtig, wie und ob man an Gott glaubt, sondern nur, dass er existiert.
Obwohl Politik im Gespräch keine Rolle spielte, darf nach Bayern- und Hessen-Wahl Aktuelles assoziiert werden. Die CSU entschied sich soeben für die Freien Wähler, also fürs müde: Weiter so! 1996 (!) sagte Hoeneß im nd-Interview: »Ich glaube an eine schwarz-grüne Koalition. Schwarz sorgt für wirtschaftliche Weiterentwicklung, Grün für die ökologische Kontrolle. Das ist für mich das einzig verlässliche politische Abhängigkeitsmuster der Zukunft.« Der Traum vom moralischen Grenzfall: technologische Furchtlosigkeit plus christliche Demut. Ein Aufruf zu Versuch und Irrtum.
Gysi fragt nach dem besten DDR-Fußballer. Hoeneß nennt Hans-Jürgen Kreische. Die besten Spieler der Welt? »Jetzt Ronaldo, Messi, Manuel Neuer, früher Pele, Beckenbauer, Cruyff, Eusebio, Maradona.« Der Argentinier? »Ja, er wurde ganz allein Weltmeister, er war stets der einzig Geniale in mäßigen Mannschaften.« Nach Steuerhinterziehung und Gefängnis fragt Gysi auch. Im Ton des Nebenbei. Hoeneß: »Ich habe einen ganz großen Fehler gemacht, bei Geldanlagen maßlos übertrieben. Punkt.« Revision einlegen wollte er nicht. »Die Familie auch nicht. Nach gemeinsamer Nachtsitzung stand’s fest.« Augen auf und durch. Dass er Freigänger wurde, missfiel den Mithäftlingen, »denn ich hatte mich zu einem ganz guten Tischtennis-Partner entwickelt«. Verlor er draußen Freunde? »Ja. Kann ich ihnen nicht übelnehmen - aber Aufmunterung kam von Leuten, von denen ich es nie vermutet hätte.«
Natürlich denkt man während des Gesprächs an die jüngste plauzige, fettnäpfige Pressekonferenz von Hoeneß und Rummenigge, die in der »FAZ« mit der Überschrift »Beleidigte Leberknödel« kommentiert wurde. Ganz Deutschland lacht. Solche Eindeutigkeit reizt zum Perspektivwechsel: Haben da nicht zwei Arbeitgeber einfach nur ihre Angestellten verteidigt? In verzweifelt ausrastender, in genau so verunglückender Art, wie es einst den Nationaltrainer Rudi Völler vor laufender Kamera hinriss? Die Geschichte ist (auch!) erzählbar als Reflex auf einen Journalismus, dem zuvörderst gilt, Menschen in Reaktionsnöte zu bringen, sie aus dem Schutz ihrer eigenen Geschichte zu vertreiben. Überall ein Hoch- und Abschießen von Menschen, Meinungen, Mentalitäten.
Ein Vormittag schöner Lehren: Hör jemandem zu - und deine Vorurteile schwächeln. Hoeneß erzählt von tollen Spielen, schönsten Toren und von seinem verschossenen Elfmeter 1976 beim EM-Finale (»den Ball, den ich in die Wolken haute, fand man später bei Aufräumarbeiten weit draußen«); und einmal mehr teilt sich mit: Die große Schwierigkeit beim Fußball besteht darin, dass eine Mannschaft nicht alleine spielt. Wie im Leben. Der Zufall ist es, der regelmäßig das Unmögliche wirklich macht. So entsteht unendliche Ausdeutbarkeit. Wieder wie im Leben. Gysi sagt, ohne Hoeneß wäre »das Land ärmer«, der steht ungewohnt beschämt im langen Applaus, die Beschämtheit ist ihm eine zu enge Jacke, und so muss er das letzte Wort nehmen: »Ehrlich gesagt, mir fehlt der Buh-Rufer.« Der bleibt still. Rache muss sein.
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