Machtverschiebung in der Koalition

Die CDU hofft in Hessen auf eine Fortsetzung des Bündnisses mit den nach der Wahl gestärkten Grünen

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 4 Min.

Als der Landeswahlleiter um zwei Uhr morgens das vorläufige Endergebnis und die Sitzverteilung verkündete, stand fest, dass das schwarz-grüne Zweierbündnis in Hessen noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen ist. Zwar haben beide bisherigen Koalitionspartner aufgrund des Absturzes der CDU in der Summe um drei Prozentpunkte schlechter abgeschnitten als 2013. Doch unterm Strich nehmen die bisherigen Koalitionspartner im künftigen Landtag 69 von 137 Sitzen ein und stellen damit eine hauchdünne Mehrheit von einem Sitz. Die CDU war mit 27 Prozent beinahe auf das 26,4-Prozent-Niveau von 1966 zurückgefallen.

Regierungschef Volker Bouffier will auch im Rentenalter für eine Fortsetzung der Koalition noch einmal fünf Jahre dranhängen. Er sieht in dieser Konstellation sein Lebenswerk und ein Referenzmodell für den Bund. Trotz deutlicher Blessuren kann sich der CDU-Politiker rühmen, seine Wahlziele formal erreicht zu haben. Ein Blick auf die politische Landkarte zeigt einen von vereinzelten roten und grünen Flächen und Punkten unterbrochenen »schwarzen Teppich« vom Neckar bis zum Hochsauerland. Die CDU eroberte 40 der 55 Direktmandate, die SPD zehn und die Grünen erstmals überhaupt fünf. Dies ist vor allem auch dem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Grünen und SPD geschuldet und schlägt sich in Ausgleichsmandaten für andere Parteien nieder. Der neue aufgeblähte Landtag ist daher mit Abstand rein zahlenmäßig der größte seit der Gründung des Landes 1946.

Eine knappe Sitzmehrheit für das amtierende Regierungsbündnis ist für Hessen absolut kein Novum und könnte nach langjähriger Erfahrung im Konfliktfall sogar disziplinierend wirken. Bouffier hätte gerne noch die FDP als weiteren wirtschaftsfreundlichen Partner ins Boot geholt, zumal auch die einflussreichen hessischen Unternehmerverbände bei einer Analyse der Wahlprogramme die meisten Übereinstimmungen mit Union und Freien Demokraten ausgemacht hatten. Doch die FDP will nicht. Man stehe nicht »als Ersatzrad« bereit und wolle auch nicht »für eine falsche Politik in Haftung genommen werden«, sagte FDP-Landeschef René Rock auf »nd«-Anfrage. Mit einem »gefühlten Ministerpräsidenten« Tarek Al-Wazir und dem Anspruch der Grünen auf mehr Ministerämter würden Schwarz-Grün neue Konflikte ins Haus stehen. Zum Schwur werde es bei der geheimen Wahl des Ministerpräsidenten Mitte Januar 2019 kommen, so Rock, dessen Partei sich von 5,0 auf 7,5 Prozent steigern konnte.

Die einstige Öko-Partei und die SPD hatten am Sonntag jeweils 19,8 Prozent errungen. Für die SPD ist dies ein historisches Allzeit-Tief. Die Grünen erreichten das beste hessische Landesergebnis überhaupt. Besonders schmerzlich ist es für die immer noch fassungslos wirkenden Sozialdemokraten, dass die Grünen im Kopf-an-Kopf-Rennen um Platz zwei mit einem Vorsprung von 94 Stimmen sogar die Nase vorn hatten. Die verbliebenen traditionellen SPD-Hochburgen liegend überwiegend in Nordhessen.

Nachdem der Abstand zwischen Union und Grünen von 26,8 auf 7,2 Prozentpunkte geschrumpft ist, liegt es nahe, dass die Grünen mehr Sitze im Kabinett beanspruchen werden. Beobachter bescheinigen Grünen-Fraktionschef Matthias Wagner Ambitionen auf das Kultusministerium. Bouffier möchte die Koalitionsverhandlungen nach eigenen Angaben bis Weihnachten abschließen. Eine rechnerisch mögliche hessische »Ampel« aus SPD, Grünen und FDP gilt als unwahrscheinlich, auch wenn SPD und FDP formal der Einladung von Grünen-Landeschef Kai Klose zum Gespräch folgen wollen. Auch mit einer Koalition aus CDU und SPD rechnet niemand ernsthaft. Eine bis zuletzt von manchen erhoffte »rot-rot-grüne« Sitzmehrheit, wie sie im bisherigen Landtag besteht, wird es ohnehin nicht mehr geben.

Die Rechtspartei AfD hatte am Sonntag mit 13,1 Prozent den Einzug in den Wiesbadener Landtag geschafft und sitzt jetzt in allen Landesparlamenten. Ihr Spitzenkandidat Rainer Rahn kündigte am Montag vor Medienvertretern in Wiesbaden als Schwerpunkt künftiger Parlamentsarbeit ein verstärktes Engagement »gegen illegale Masseneinwanderung« an. Damit sind im Wiesbadener Landtag heftige Redeschlachten programmiert. Aus Protest gegen den als sicher geltenden Einzug der AfD in den Landtag waren am Freitag bereits 2000 Menschen in der Landeshauptstadt Wiesbaden auf die Straße gegangen. Mehrere hundert demonstrierten am Wahlabend in Frankfurt am Main spontan gegen die AfD.

»Wir setzen auf den inner- und außerparlamentarischen Kampf für soziale Gerechtigkeit und gegen Rechts«, kündigte LINKE-Landeschef Jan Schalauske an. Seine Partei errang 6,3 Prozent und ist künftig mit neun statt bisher sechs Mandaten vertreten. Zweistellig schnitt sie in ihren Hochburgen Frankfurt am Main, Gießen, Darmstadt, Kassel und Marburg ab, während sie vor allem auf dem Land schwächelte. Auch wenn manche Parteiaktivisten die bange Frage stellen, warum die LINKE vom Niedergang der SPD kaum profitieren konnte, hat der Wahlsonntag das Ansehen des hessischen Landesverbandes in der Bundespartei gestärkt. Hessen ist das einzige größere westliche Flächenland, in dem die Partei kontinuierlich zum vierten Mal in Folge den Einzug in das Parlament schaffte.

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