- Montagmorgen
- SONNTAGmorgen
Das Sicherheitsrisiko
Einmal musste ich auf der Bank meine falsche Adresse korrigieren lassen. Die Bankangestellte nahm dies sofort zum Anlass, für Tausende Versicherungen zu werben, die sie einem noch zur Verfügung stellten.
»Nein, danke«, war meine übliche Antwort, »ich habe nichts zu versichern!« Wäre es möglich, hätte ich sogar keine Krankenversicherung abgeschlossen. Ich vertraue den Ärzt*innen eh nicht. Außerdem sehe ich eine obligatorische Krankenversicherung wie ein Zwangkopftuch!
Sie schaute mich so an, als ob sie meine Gedanken lesen konnte. Als ob sie mir sagen wollte, wieso ich dann nicht einfach sterben gehen würde. Doch sie gab mir noch eine Chance, mir einiges im Leben zu garantieren.
»Man kann die Gegenstände in der Wohnung versichern. Das Geschirr, die Möbel, alles kann kaputtgehen«, sagte sie. Ich warf einen Blick auf ein Bild in der Bankbroschüre, auf dem ein mittelaltriges Paar liegend auf einer Couch zu sehen war. Der Mann hatte seinen Arm um die Schulter seiner Frau gelegt und eine Fernbedienung in der Hand. Die Frau hatte sich mit einer Decke eingewickelt. Beide lächelten zufrieden und guckten in die Ferne.
Ist das Sichersein?, fragte ich mich und dachte mir, die Versicherungsunternehmen werden Tag für Tag reicher, weil wir Tag für Tag unsicherer werden, auch konservativer. Irgendwann werden wir das Haus gar nicht mehr verlassen. Zuerst alles versichern lassen. Und erst danach, wenn wir genug für die Kranken-, Rente-, Privat-Haftpflicht-, Hausrat-, Unfall- und Rechtsschutzversicherung gezahlt haben, können wir uns ganz sicher bewegen. Dann können wir vielleicht so zufrieden wie dieses Paar lächeln. Und selbst dann, wenn wir aus vollem Halse lachen, könnte uns auf einmal Vogelkacke in den Hals fallen und wir würden einfach daran ersticken.
Mit der Unsicherheit des menschlichen Daseins war ich in meinen Gedanken beschäftigt, als die Dame beharrlich hinzufügte: »Das sind nur sechs Euro pro Monat!«
Ich hatte nur ein müdes Lächeln für das Angebot parat. Und da ich keine Lust auf Diskussionen hatte, sagte ich, dass ich mir es überlegen würde. Ich stürmte aus der Bank. Im nächstem Monat kam der Kontoauszug und die Adresse war immer noch falsch.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.