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Piloten wollen keine Pistole auf der Brust
Die Vereinigung Cockpit fordert vom Billigflieger Ryanair einen Tarifvertrag zur Mitbestimmung
Am Montag schloss die irische Fluggesellschaft Ryanair ihren Standort in Bremen. Der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) zufolge setzt die Leitung der Billigairline damit mehreren Hundert Angestellten, Piloten wie Flugbegleitern, die Pistole auf die Brust. Mit solchen Aktionen wolle das Management offensichtlich versuchen, die Kollegen einzuschüchtern und von möglichen weiteren Streiks abzuhalten; »doch das wird nicht gelingen«, betonte VC-Präsident Martin Locher am Montag vor Journalisten in Berlin. Die Gewerkschaft fordert den Abschluss von Tarifverträgen zu Vergütung, Arbeitsbedingungen und betrieblicher Mitbestimmung.
Letzteres hat einen ganz besonderen Stellenwert. Denn im Gegensatz zu anderen Beschäftigten gilt das Recht auf Gründung eines Betriebsrats für das fliegende Personal erst mal nicht. Sie dürfen nach geltendem Arbeitsrecht eine Interessenvertretung nur gründen, wenn sich die Tarifparteien darauf einigen. Das allgemeine Recht auf Gründung von Arbeitnehmervertretungen auch ohne Zustimmung oder gar gegen den Willen des Arbeitgebers findet also in dieser Branche keine Anwendung.
Nicht nur für Cockpit, sondern auch für viele Politiker ist dies ein Anachronismus im Betriebsverfassungsgesetz. Bernd Rützel, der für die SPD im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales sitzt, verwies am Montag auf einen entsprechenden Vorstoß von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der fraktionsübergreifend auf breite Zustimmung gestoßen sei. Da eine entsprechende Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes aber nicht im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, sei unklar, ob und wann in dieser Legislaturperiode noch ein entsprechender Beschluss gefasst werden könne, so Rützel.
Sein Fraktionskollege Arno Klare, der im Verkehrsausschuss sitzt, betonte die europäische Dimension dieser Angelegenheit. Doch von der zuständigen EU-Kommissarin Violeta Bulc seien trotz anders lautender Ankündigungen bislang keine Schritte in Richtung einer entsprechenden EU-Richtlinie unternommen worden. Angesichts der bevorstehenden Wahlen zum Europaparlament und der damit einhergehenden Neubesetzung der EU-Kommission sei damit in nächster Zeit leider auch nicht mehr zu rechnen. Doch man halte am Ziel fest, Landerechte auf Flughäfen in der EU an die Einhaltung von Mindeststandards für die Mitbestimmung zu koppeln.
Auch aus Sicht der Gewerkschaften sind die Probleme mit Billigairlines nur auf europäischer Ebene nachhaltig zu lösen. So müsse das Ziel sein, für alle Ryanair-Standorte Tarifverträge durchzusetzen, die sowohl den EU-Mindeststandards als auch dem am jeweiligen Standort geltenden nationalen Arbeitsrecht entsprechen, so Dirk Polloczek. Präsident der European Cockpit Association. Derzeit habe das Unternehmen nur in Italien entsprechende Tarifverträge abgeschlossen. Dagegen basierten die Arbeitsverhältnisse beispielsweise in Polen fast ausschließlich auf Scheinselbstständigkeit, sie seien also ohne Kündigungsschutz und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Nicht nur in der Luftfahrt, sondern auch in anderen Branchen tue sich derzeit »ein Fass ohne Boden« auf, da international agierende Konzerne alle denkbaren Regulierungslücken ausnutzten, so Polloczek. Das untergrabe auch den Grundgedanken der Europäischen Union.
Bis Ende November wollen Unternehmen und Gewerkschaft Eckpunkte für künftige Tarifverträge vereinbaren, erläuterte Ingolf Schumacher, Vorsitzender Tarifpolitik bei VC, den Stand der Verhandlungen in Deutschland. Diese sollen dann unter Einschaltung von zwei Schlichtern ausgehandelt werden, was durchaus einige Monate in Anspruch nehmen könne, so Schumacher. Falls Ryanair »erkennbar und konstruktiv« über eine Lösung des Konflikts verhandeln wolle, sei man auch bereit, für diesen Zeitraum eine Friedenspflicht, also den Verzicht auf Streiks, zu akzeptieren. Dafür müsse sich Ryanair jedoch im Gegenzug verpflichten, auf weitere Standortschließungen, kurzfristige Versetzungen und Repressalien gegen Piloten zu verzichten. Falls es in den nächsten Verhandlungsrunden nicht vorangehe, seien »weitere Eskalationen nicht auszuschließen« - möglicherweise auch in der Weihnachtsreisezeit.
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