Irrfahrt Richtung Steuerwettbewerb

Die Mehrheit der sogenannten Wirtschaftsweisen fordert eine komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.

Diesen Mittwoch ging für hiesige Ökonomen eine Ära zu Ende. Zum letzten Mal veröffentlichten die sogenannten Wirtschaftsweisen ihr Jahresgutachten samt der Sondervoten von Peter Bofinger. Seit 2004 hat sich der Würzburger Professor mit den anderen vier Mitgliedern des Gremiums gestritten und seine oft abweichende Meinung in den alljährlichen Berichten kundgetan. Nächstes Frühjahr verlässt Bofinger den »Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung«, wie die Wirtschaftsweisen als Beratergremium der Bundesregierung offiziell genannt werden.

Vielleicht beschränkte sich der gewerkschaftsnahe Ökonom dieses Mal - als Zeichen der Versöhnung - auch auf zwei Sondervoten. Vergangenes Jahr äußerte Bofinger noch zu vier Kapiteln seine abweichende Meinung, ein Jahr zuvor waren es sieben ökonomische Themen, bei denen er sich mit den übrigen Wirtschaftsweisen im Clinch befand. Indes setzt der Sachverständigenrat »seine neoliberale Irrfahrt durch die Wirtschaftspolitik« fort, wie der Direktor des DGB-nahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Gustav A. Horn, das diesjährige Gutachten des Gremiums kommentierte.

Was ihre Prognose betrifft, waren sich die Wirtschaftsweisen einig. Wie andere Ökonomen und die Bundesregierung vor ihnen senkten sie ihre Konjunkturvorhersagen. »Die ungewisse Zukunft der globalen Wirtschaftsordnung und der demografische Wandel stellen die deutsche Volkswirtschaft vor große Herausforderungen«, erklärte der Vorsitzende des Rats, Christoph M. Schmidt. Noch im März waren er und seine Kollegen davon ausgegangen, dass die Wirtschaft dieses Jahr um 2,3 und nächstes Jahr um 1,8 Prozent wachsen wird. Mit ihrer aktuellen Einschätzung von 1,6 beziehungsweise 1,5 Prozent sehen die Wirtschaftsweisen nun im Vergleich zur übrigen Ökonomenzunft besonders schwarz.

Bofingers Einschätzung weicht von der Mehrheitsmeinung bei der Bewertung des Handelns der Europäischen Zentralbank und der Frage nach Steuergeschenken für Unternehmen ab. Die Mehrheit des Gremiums griff die von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ins Spiel gebrachte Abschaffung des Solidaritätszuschlags auf. Zudem soll nach Auffassung der Wirtschaftsweisen eine »Patentbox« eingeführt werden, mit der Unternehmen auf Erträge aus Lizenzen und ähnlichem niedrigere Steuern zahlen müssen. Die auf EU-Ebene diskutierten Vorschläge für eine Besteuerung digitaler Unternehmen lehnt das Gremium ab.

Die USA hätten mit den Reformen von US-Präsident ein »neues Kapitel« im internationalen Steuerwettbewerb aufgeschlagen, gab Wirtschaftsweiser Schmidt als Begründung an. »Darüber hinaus dürfte der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU den internationalen Steuerwettbewerb weiter verschärfen«, heißt es im Gutachten weiter. »Außerdem haben Belgien, Frankreich, Italien und Österreich jüngst bereits ihre Steuersätze gesenkt oder dies angekündigt.«

Beim Vergleich mit den USA »sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass die zu Beginn des Jahres 2018 in Kraft getretenen Steuersenkungen mit einer deutlichen Ausweitung der Staatsverschuldung einhergehen«, wirft Bofinger in seinem Sondervotum ein. Der Deutsche Gewerkschaftsbund lehnt Steuersenkungen für Unternehmen mit noch deutlicheren Worten ab: »Die Konzerne würden letztlich noch weniger zum Gemeinwohl und zur öffentlichen Infrastruktur beitragen«, erklärte DGB-Vorstandmitglied Stefan Körzell.

Unterdessen hat sich die Diskussion um Bofingers Nachfolge in dem Gremium offenbar entspannt. »Egal wer kommt - wir werden versuchen, konstruktiv mit ihm oder ihr zusammenzuarbeiten«, sagte die Wirtschaftsweise Isabel Schnabel gegenüber »Spiegel Online«. Sie und auch Ökonomen aus dem Umfeld der Wirtschaftsweisen hatten zuvor massiv Stimmung gegen den Berliner Ökonomen Achim Truger gemacht, den der DGB als Nachfolger für Bofinger vorgeschlagen hat.

Vielleicht zeigt sich Schnabel nun auch kompromissbereiter, weil sie Truger vermutlich nicht mehr verhindern kann. So berichtete das »Handelblatt« am Dienstag, dass die Bundesregierung die Berufung Trugers trotz Bauchschmerzen wohl mitragen werde. Der Gewerkschaftsbund hält sich derweil in dieser Sache noch zurück. »Der DGB steht zu seinem Vorschlag«, erklärte ein Sprecher gegenüber dem »nd«.

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