Nicht nur Kristall brach

Topographie des Terrors

Kristallnacht. Man möchte an mehrarmige Lüster denken, in denen sich das Licht vielfarbig bricht. Oder an Eiskristalle im Mondschein. Fantasievoller noch klingt die englische Version: Crystalnight. Indes, »Kristallnacht« ist ein böses Wort. Beschmutzt, belastet, unbrauchbar für alle Zeit. Seit jenem 9./10. November 1938, als nicht nur Kristall zerschlagen wurde, sondern Menschen gejagt, geschlagen und erschossen worden sind - in ganz Deutschland.

Bewusst wählten die Kuratoren der neuen Sonderausstellung in der Berliner Topographie des Terrors - als »historisches Zitat« freilich - den Euphemismus aus dem NS-Jargon, der spätestens in den 1970er Jahren durch den Begriff »Pogromnacht« ersetzt wurde. Den jedoch Ulrich Baumann und Uwe Neumärker ebenso unpassend finden, da es sich damals, vor 80 Jahren, um keinen spontan ausgebrochenen Gewaltakt gegen die Juden handelte, sondern um eine kommandomäßig durchgeführte Aktion. Von Königsberg bis Karlsruhe, von München bis Magdeburg glühten in NSDAP-, SS- und Gestapoämtern am Abend des 9. November 1938 die Telefonleitungen. Das Attentat des 17-jährigen Herszel Grynszpan auf den Konsul Ernst Eduard vom Rath in Paris, eine Verzweiflungstat gegen die Ausweisung seiner polnisch-jüdischen Eltern aus Hannover, diente als Vorwand, »Volkszorn« gegen die Juden zu suggerieren. Die Ausstellung - nicht die erste zum Thema in der Topographie - sei notwendig in einer Zeit, in der »erinnerungspolitische Wenden« eingefordert, das Holocaust-Mahnmal als »Mahnmal der Schande« diffamiert und die NS-Diktatur als »ein Vogelschiss« in der deutschen Geschichte verharmlost werde, betont Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas.

Anhand von sechs ausgewählten Orten - Guntersloh, Berlin, Hof, Bremen, Brühl und Glatz - wird das Geschehen geschildert, werden Täter und Opfer vorgestellt sowie über die juristische Aufarbeitung respektive ausbleibende nach dem Krieg berichtet. In den drei Westzonen sei gegen 17 000 Personen ermittelt worden, es gab jedoch kaum Verurteilungen. In der DDR wurde im Kontext »Kristallnacht« eine Todesstrafe vollstreckt.

Ein großformatiges Foto aus Guntersloh zeigt, wie Rabbiner mit Torarollen durch eine Straße getrieben werden; manche Passanten schauen belustigt, andere neugierig und wieder andere eher erschreckt zu. Auch wenn sich nicht alle Deutschen an den Zerstörungen und Plünderungen am 9. und 10. November 1938 beteiligten, für Andreas Nachama, Direktor der Topographie, machten sich schon die Gaffer zu Mittätern. Die sechs Tatorte in der Schau umrahmt ein chronologischer Fries, der bis in die Gegenwart führt. Reflektiert wird hier unter anderem die 1978 in beiden deutschen Staaten eingesetzte Bewusstseinsänderung ob der bis dato eher wenig erinnerten »Kristallnacht«. Die DDR edierte aber bereits 1963 eine Briefmarke im Gedenken an deren Opfer.

Die beiden lichteren deutschen 9. November ’18 und ’89 sollten jedenfalls weder den Hitler-Ludendorff-Putsch 1923 gegen die Republik und schon gar nicht die Eskalation deutschen Judenhasses 15 Jahre darauf vergessen lassen.

»Kristallnacht. Antijüdischer Terror 1938. Ereignisse und Erinnerung«, Topographie des Terrors, Katalog.

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