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»Laut sein, saufen, pöbeln«
Eine Ausstellung über Frauen als Fans in Fußballstadien.
»Wenn ich keinen Fußball habe, bekomme ich Entzugserscheinungen. Ich bin süchtig, der Sport ist meine Droge.« Wo auch immer Arsenal London spielt, Maria Petri ist dabei. Egal ob mit den Männer-, Frauen- oder Jugendteams, bei Heim- oder Auswärtsspielen oder international. In einer Woche schaue sie sich bis zu vier Partien live an, erzählt die 79-Jährige. Ganz in Rot gekleidet, der Vereinsfarbe ihrer großen Liebe, schildert die pensionierte Lehrerin ihre Geschichte. »Seit 1950 unterstütze ich Arsenal«, erzählt Petri mit rauchiger, lauter Stimme. Hinter ihr ragt das Stadion des Klubs empor, an den Wänden hängen Konterfeis von Vereinslegenden. »Ich denke mir oft eigene Gesänge aus, um mein Team zu unterstützen. Oft höre ich Sprüche im Stadion, die Leute fragen, ob mein Mann weiß, dass ich hier bin. Dann singe ich umso lauter. Und singe, dass sie mich nicht ruhig stellen werden.«
Petri ist eine von mehr als 90 Frauen, die in der Ausstellung »FAN.TASTIC FEMALES« in Filmen porträtiert werden. Über zwei Jahre sind die Organisatoren durch Europa gereist, um weibliche Fußballfans zu treffen und sich ihre Geschichten erzählen zu lassen. Über ihre Liebe und Leidenschaft für den Sport, ihren Weg auf die Tribünen, ihre großartigsten, eindrucksvollsten, lustigsten aber auch ihre weniger schönen Momente im Fußball. Herausgekommen sind mehr als acht Stunden Videomaterial. In den kommenden Jahren werden diese filmischen Porträts in verschiedenen Stadien in ganz Deutschland gezeigt.
Hier in Bremen wird die Ausstellung in einem kleinem Werder-Kreis eröffnet. Gekommen sind Vereinspräsident Hubertus Hess-Grunewald, Werder-Legende Willi Lemke und Antje Grabenhorst. Sie hat die Ausstellung als Koordinatorin organisiert und engagiert sich in der aktiven Fanszene des SV Werder. »Unser Ziel mit der Ausstellung ist es, die Geschichten von Frauen in den Fanszene Europas zu erzählen«, erklärt die 29-Jährige. Diese seien noch immer unterrepräsentiert, oft werden sie nicht als gleichwertige Fans akzeptiert.
Grabenhorst berichtet von Lazio Rom. Dort hat eine Fangruppe Frauen verboten, in den ersten zehn Reihen in der Kurve zu stehen. Auch wenn sie es nicht so deutlich kommunizieren würden, wie die Fans von Lazio Rom, die damit ihre rechte Agenda propagieren, sei das in bestimmten Fankreisen in Deutschland durchaus ähnlich. Bei Hertha BSC, Bayer Leverkusen und Borussia Mönchengladbach seien Frauen zwar als Anhängsel oder Begleiterin präsent - in bestimmten Gruppierungen aber als Teil der Ultraszene oder der aktiven Fanszene nicht akzeptiert.
Fußball und Fankultur - nur was für Männer? Die Ausstellung, die Antje Grabenhorst kuratiert hat, zeichnet ein anderes Bild. Es gab von Beginn an auch Frauen in den Stadien - oft nicht offiziell, manchmal nicht erwünscht und auch nicht überall sichtbar, aber sie waren schon immer da. Gezeigt wird zum Beispiel Zahra. Mit der mutigen OpenStadium-Initiative kämpft sie seit Jahren gegen das iranische Verbot von Frauen im Stadion. Sie erzählt im Film von der Freude, die es macht, sich mit aufgemaltem Bart und Augenbrauen durch den Einlass zu schmuggeln. Und, dass auch die folgende Verhaftung einem dieses Gefühl nicht mehr nehmen kann. Zu sehen sind auch weibliche Ultras aus Jena, Istanbul, St. Petersburg und eine Fangruppe aus Indonesien, die so laut auftritt und so massiv bengalisches Feuer zündet, dass manch männlich dominierte Ultragruppen in Europa es mit der Angst zu tun bekommen würden.
Auch Managerinnen, Funktionärinnen und Spielerfrauen werden porträtiert. Mona Opp-Neustädter zum Beispiel ist mit Roman Neustädter liiert. Der spielte früher für die deutsche Nationalmannschaft, momentan ist er bei Fenerbahçe Istanbul unter Vertrag. Opp-Neustädter und die anderen Frauen eint, dass sie mit Klischees zu kämpfen haben. Antje Grabenhorst hat in den letzten Jahren, in denen sie die Ausstellung zusammengetragen hat, viel über veraltete Rollenbilder gehört. Zwar machen Frauen laut einem Forschungsbericht des Instituts für Fankultur inzwischen in den meisten deutschen Stadien mehr als 20 Prozent der Gäste aus. Trotzdem sind die Probleme groß. Es gibt nicht genug sanitäre Anlagen für Frauen. Und dass sich ein großer Teil der Menschheit die Hände waschen will, ist in vielen Stadien unterklassiger Vereine noch nicht angekommen. Auch gibt es oft nicht genug Ordnerinnen, um Sicherheitskontrollen durchzuführen.
Und dann ist da natürlich der Sexismus. Als Grabenhorst einmal Spenden für ihren Verein sammelte, bekommt sie massenhaft Sprüche zu hören: »Für so eine hübsche Frau spende ich immer« oder »Dann bekomme ich aber auch deine Nummer« gehörten noch zu den harmloseren Bemerkungen.
Wenn man Bilder aus deutschen Stadien sieht, wird schnell klar, dass es nicht einfach ist, sich dort als Frau zu bewegen. Gerade in den »Kurven«, also den Blöcken, wo die aktive Fanszene zu Hause ist, herrscht männliches Gehabe. Oberkörperfrei grölen bierschwenkende Männer ihre Lieder. Worin besteht überhaupt der Reiz, sich in einen solchen Raum zu begeben? Grabenhorst kann alle Frauen verstehen, die sich von solchen Bildern abgeschreckt fühlen. Aber: »Wenn du Bock auf Fußball hast, Bock auf das Spektakel, dann geh da hin, lass dir den Raum nicht nehmen«, plädiert die 29-Jährige. Es sei eben gerade auch für Frauen interessant, sich in dieser Atmosphäre auszuprobieren. Das könne auch bestärkend sein und Kraft geben. Frau sein wird oft assoziiert mit Zurückhaltung und Kontenance. Sich selbst auszuprobieren, auch »laut zu sein, zu saufen, zu pöbeln, zu raufen« - all das könne eine befreiende Erfahrung sein, ermutigt Grabenhorst.
Das erste Mal im Stadion war sie im Alter von acht Jahren, zusammen mit ihrem Großvater. »An so einem gewöhnlich nebligen und regnerischen Bremer Tag.« Später fing sie an, selber Fußball zu spielen. Damals bekam sie viele dumme Sprüche zu hören, Mädchen können das nicht. Der Kampf gegen Diskriminierung war früh präsent, erzählt sie heute. Denn Sexismus ist nicht auf die Fanszene beschränkt. Als der Zweitligist Holstein Kiel in der Saison 2017/2018 überraschend kurz vor dem Aufstieg stand, wollte der Verein seine Frauenabteilung abstoßen, um alle verfügbaren Ressourcen für den Männerbereich zu bündeln.
Dass Frauenfußball anders gewichtet wird, zeigt auch die finanzielle Anerkennung. Bekamen die die DFB-Männer 1974 für den Gewinn des WM-Titels bereits umgerechnet 35 900 Euro, erhielt die deutschen Fußballerinnen 15 Jahre später für den EM-Titel ein Kaffeeservice überreicht. Die geringe Wertschätzung liegt aber auch an dem fehlenden öffentlichen Interesse. Grabenhorst meint, sie müsse sich diesen Punkt selber vorwerfen. Aber Frauen werden eben auch weniger gefördert - so sind beispielsweise die Anstoßzeiten der Spiele meist sehr ungünstig. Und eine persönliche Geschichte gibt es auch noch: »Als ich 19 war, brachte Werder ein Frauenteam an den Start. Das hatte dann das erste Spiel in unserer Liga gegen meinen Verein. Sie haben 32:0 gewonnen, ich habe auch noch ein Eigentor geschossen.« Seitdem boykottiere Grabenhorst den Frauenfußball, erzählt sie augenzwinkernd.
Erst als sie aufgehörte, selber Fußball zu spielen, fing sie an, regelmäßig in die Kurve zu gehen und ein Teil der aktiven Fanszene zu werden. Der Eintritt in eine männlich dominierte Welt. Als Quotenfrau hat sie sich die Bremerin trotzdem nie gefühlt. »Indem ich immer wieder feministische Themen anspreche, setze ich mich ja auch selber als Frau in den Diskurs«, meint Grabenhorst. Das sei auch die Krux der Ausstellung. Wir müssen und wollen Frauen explizit herausstellen, sichtbar machen, benennen, erklärt sie: »Damit wir irgendwann nicht mehr auffallen als Frauen im Fußball.« Und ein wenig bewegt sich die Fanfrau auch persönlich in diesem Spannungsfeld. Wie wahrscheinlich auch Maria Petri. Die 79-Jährige hat eigentlich nur noch einen Traum, erzählt sie. Auch mit 90 Jahren noch bei guter Gesundheit zu sein, um den Spielen von Arsenal beizuwohnen. Ob diese dann Meister seien oder ihre Spiele allesamt verlieren, das sei gar nicht entscheidend. Hauptsache in der Kurve stehen und singen.
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